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Archiv-Artikel

Der Handel mit der Gerechtigkeit

Immer wieder geraten „Deals“ in Strafverfahren in die Kritik. Um dem verbreiteten Verdacht von „Scheinverhandlungen“ und „Zweckgeständnissen“ entgegenzuwirken, wollen Teile der Juristenschaft Verfahrensabsprachen deshalb gesetzlich regeln

Drei Beispiele prominenter Deals

Beispiele für „Deals“ gibt es viele. Einer der namhaften Nutznießer war etwa der frühere VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz. Im Januar 2007 wurde er nach einer umstrittenen Absprache mit der Justiz wegen Untreue zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 576.000 Euro verurteilt.

Auch der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann entging einer Verurteilung. Der Prozess gegen ihn war Ende November 2006 nach einer Absprache zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung zu Ende gegangen. Ackermann und die fünf anderen Beschuldigten wurden zur Zahlung von insgesamt 5,8 Millionen verpflichtet. In dem Verfahren ging es um Millionenprämien für Manager, die bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000 geflossen waren. Der Deal vor dem Düsseldorfer Landgericht löste eine Welle der Empörung in der breiteren Öffentlichkeit aus.

Im Juli 2008 wurde der wegen Fluchthilfe für den ehemaligen Verteidigungsstaatssekretär Holger Pfahls angeklagte Geschäftsmann Dieter Holzer zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt – nach einer Absprache mit dem Landgericht Augsburg. Pfahls selbst war 2005 wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Nach einem Deal. taz

von Jan Zier

Als „Mammut-Prozess“ war es angekündigt, das Verfahren gegen die Hells Angels vor dem Landgericht Hannover. Und am Ende ging, irgendwie, doch alles ganz schnell. Nach einer Verständigung zwischen Richtern, Staatsanwaltschaft und Verteidigern kamen fast alle Angeklagten mit Bewährungsstrafen davon. Richter Jürgen Seifert verteidigte den Deal sogleich als „gerecht“, der Staatsanwalt Hansjürgen Schulz sprach von einem „hohen Prozessrisiko“. Und die Akten wurden geschlossen.

Mittlerweile gibt es Rechtsanwälte, die offen damit werben, auf solche Deals spezialisiert zu sein. Und es gibt Richter, die vom juristischen „Sommerschlussverkauf“ reden, von Prozessen zum „Kurz-, Mittel- und Langstreckentarif“ – je nachdem, ob ein Strafverfahren eben ganz ohne, mit stark verkürzter oder regulärer Hauptverhandlung auskommt. Andere hingegen, Klaus-Dieter Schromek etwa, Richter am Landgericht Bremen, halten solche Absprachen eher für „eine Form der Bankrotterklärung“. Durch sie schwinde das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gerichtsbarkeit als solche – gerade mit Blick auf groß angelegte, medienwirksame Prozesse.

Doch viele von Schromeks KollegInnen teilen diese Kritik nicht: Bernd Asbrock etwa, ebenfalls Richter am Bremer Landgericht, nennt Verfahrensabsprachen zum vorzeitigen Prozessende „selbstverständlich“, hält sie gar für einen „unverzichtbaren Bestandteil“ von Strafverfahren. Von „Prozessökonomie“ ist dann die Rede, vom „Interesse aller Verfahrensbeteiligten“.

Eine Fragestellung „Deal oder Gerechtigkeit“, wie sie jüngst eine Fachdiskussion in Bremen diskutierte, geht für Asbrock „an der Realität vorbei“. Auch Reinhold Schlothauer, Strafverteidiger und Honorarprofessor für Straf- und Strafprozessrecht an der Uni Bremen, „gefällt das Gegensatzpaar ganz und gar nicht“. Eine Verständigung könne „immer sinnvoll“ sein, sagt Schlothauer, es gelte nur, „ein vernünftiges Maß“ zu finden. Er fordert, die Absprachen gesetzlich zu regeln. „Um die schlimmsten Auswüchse zu bekämpfen.“

Auch der Bundesgerichtshof hat schon in einer Entscheidung von 2005 an den Gesetzgeber appelliert, „die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln“. Auf Initiative Niedersachsens hat der Bundesrat ein Jahr später denn auch einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der dort aber keine Mehrheit fand. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer meldete sich schon 2005 mit einem eigenen, ausformulierten Gesetzentwurf zu Wort. Er wollte das „Konsensprinzip“ einführen, und den Urteilsabsprachen damit den übereinstimmenden Willen aller Beteiligten zugrunde legen – was in Teilen der Anwaltschaft auf heftigen Widerstand stieß. Andere wiederum wollen vor allem die offene Komunikation der Prozessparteien formalisieren, um so der kritisierten Praxis von „Scheinverhandlungen“ und „Zweckgeständnissen“ Einhalt zu gebieten.

Wie sehr eine gesetzliche Regelung der Deals überhaupt deren gängige Praxis verändern würde, bleibt umstritten. Bislang, sagt Holger Münch von der Polizei Bremen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Deals paradoxerweise umso größer, je mehr Beweismaterial die Polizei zusammengetragen habe. Im Bereich der organisierten Kriminalität endeten 90 Prozent aller Gerichtsverfahren mit Urteilsabsprachen. Zwar ist auch Münch nicht prinzipiell gegen Deals: Doch die Frage sei, ob man sie „noch als Medizin“ ansehen könne – oder ob sie schon „Gift“ seien, auch für Motivation der ermittelnden Kriminalbeamten. Nein, sagt Münch, von einer „kleinen Dosis“ könne derzeit nicht mehr die Rede sein.

Ein Vorwurf, den Dietrich Klein, Leiter der Staatsanwaltschaft Bremen, nicht gelten lassen will. „Mit aller Entschiedenheit“ bestreitet er, dass Deals „die Regel“ seien, wenn gegen organisierte Kriminalität verhandelt werde. Und überhaupt: Gerechtigkeit sei ohne Verständigung „oft gar nicht mehr denkbar“.