KAUFTIPPS FÜR KURZENTSCHLOSSENE: SPORTBÜCHER ZUM FESTE : Gemse und Bär
Ist der Radsport noch zu retten? Zwei Unverbesserliche begeben sich auf Mission
Es gehört zum besseren Ton, den Radsport zu verdammen. Das ist auch gut so, stählen sich die Profis doch immer noch mit Substanzen aus der Veterinärmedizin oder der Kälbermast. Die Moral des leistungsmäßig betriebenen Radsports ist verkommen, die Reputation der einst stolzen Sportart geht asymptotisch gegen null. Umso verwegener ist es, mit großer Liebe zum Detail ein Buch aufzulegen, das die Autoren als fanatische Freunde der Radelei ausweist. Sie heißen Walter Drögenpütt und Andreas Beune, und sie sind „im großen Gang durch das unnütze Radsportwissen“ gesprintet. Ein schönes Buch ist entstanden, der kleine Bruder der Fibel „Fußball unser“, die zu seligen Zeiten der Fußball-WM unters Volk gebracht wurde.
Während der Fußballfan seine Leidenschaft in schamloser Offenheit und ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit auslebt, ist der Radsportfan ein schuldbeladenes Wesen, das seiner Schrulle still frönt. Dieses Büchlein aus dem Covadonga-Verlag lädt also zum Gebet im Verborgenen ein, beispielsweise nach einer 150-Kilometer-Etappe durch die brandenburgische Steppe oder die Hügel der Voralpen. Die Autoren haben alle Glieder der medialen Verwertungskette unter die Lupe genommen und die besten Fundstücke in „Kette rechts!“, so der Titel, zusammengetragen. Sie wissen um die „verfemte Sportart“, doch ihre Antwort auf das Pariadasein der Zweiradszene ist selbstbewusst: „Hemmungslose Korinthenkackerei und verwegene Ausdrucksweise.“
So randständig, wie der Radsport zu werden scheint, so abgelegen sind die Schreibstuben der sammelwütigen Autoren. Von Ostwestfalen und Ostfriesland aus stemmen sich Drögenpütt und Beune gegen die Annahme, es drehe sich alles nur noch um das Dopingmittel Cera oder um mafiöse Strukturen im Peloton. Dabei existiert neben dem Skandal noch etwas, was auch in der Zeit der größten Krise überlebt: die Leidenschaft für einen Sport, der, betreibt man ihn nur mit Müsli und Muskelkraft, zum prägenden Erlebnis werden kann.
Was findet sich nicht alles in diesem Sammelsurium des Unnützen. Der Leser erfährt, wer die Tour mit der höchsten Startnummer gewann (Lance Armstrong im Jahre 1999 mit der 181), wie viele Einwohner Roubaix, Mekka der Klassikjäger, hat (96.984), man wird erinnert an die „Gemse aus den Abruzzen“ (Vito Taccone) und den „Bär von der Weinstraße“ (Gregor Braun), auch an Franz Josef Strauß, der 1934 Süddeutscher Straßenmeister wurde. Und wenn am Berg nichts mehr geht, dann hat die Sprache des Radsports dafür ein ganzes Arsenal an Formulierungen, ausführlich dokumentiert durch das Autorenpaar: Man zieht den Parkschein, wird abgekocht, steht bis zur Hüfte in der Milch, geht fliegen, fährt sich das Weiße aus den Augen oder hat alle Körner liegen gelassen.
Die Kondition von Drögenpütt und Beune ist beachtlich gut. Es muss eine Heidenarbeit gewesen sein, all die Mosaiksteinchen zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Das Thema Doping wird dabei keineswegs umkurvt. Von Verheimlichung oder Vertuschung keine Spur. Unter „Erklärungsversuche“ sind etwa all die dreisten Ausfluchten abgedruckt. So sagte Jeannie Longo (1987, Ephedrin) einst: „Das Aufputschmittel wird in diesem chinesischen Pflanzenerzeugnis gesteckt haben, das ich zuletzt als Badezusatz verwendet habe.“ Einzige Nebenwirkung von „Kette rechts!“ – Kurzweil.
MARKUS VÖLKER
Andreas Beune, Walter Drögenpütt: „Kette rechts! – Im großen Gang durch das unnütze Radsportwissen“. Covadonga- Verlag, Bielefeld; 8,80 €
Lauter Blöde
Endlich wissen wir, dass wir über Fußball nichts wissen. Ein Statistiker analysiert uns dumm
Kein Wunder! Ist doch klar, dass der danebengeht, wenn er selber schießt. Nicht mal die Außen sind besetzt! Ja, dann muss ich halt auch mal einen Zweikampf gewinnen. Und der Schiri, die faule Sau, steht wieder mal viel zu weit weg. Heiser gehen die Fans nach einem Spiel nach Hause. Fußball ist ein einfaches Spiel, das glauben nicht nur sie. Wenn ihr Team verloren hat, dann meinen die Fans ganz genau zu wissen, woran es liegt. Doch sie haben keine Ahnung. Denn niemand weiß so recht, warum eine Mannschaft ein Spiel gewinnt.
Das hat Roland Loy herausgefunden. Der ist Sportwissenschaftler, hat über 3.000 Fußballspiele ausgewertet, dabei 60.000 Ballkontakte, 250.000 Zweikämpfe, 1.000 Einwürfe, 30.000 Torschüsse, 25.000 Tore analysiert. Zusammengetragen hat er sein Wissen im „Lexikon der Fußballirrtümer“. Es ist eine Abrechnung mit beinahe allen Unwahrheiten, die rund um das Fußballspiel als Binsenweisheiten verkauft werden. Beruhigend für die Fans: nicht nur sie haben keine Ahnung. Auch Trainer, Spieler, Präsidenten, sie alle verbreiten hauptsächlich Unsinn, wenn sie sich auf Ursachensuche für Erfolg oder Misserfolg begeben. Für Loy ist Fußball ein überaus „komplexes Gebilde“, das sich mit dem Wissen, das wir bis dato über den Sport haben, nicht erklären lasse. Beinahe dämlich kommen da die Vertreter der neuen deutschen Trainerschule (Joachim Löw, Jürgen Klinsmann, Ralf Rangnick) daher, die immer wieder den Eindruck vermitteln, der Erfolg sei planbar. Um das zu widerlegen, braucht Loy nicht einmal seine Datenbanken abzufragen, die er einst für den privaten Sportschau-Ersatz „Ran“ aufgebaut hat. Wenn jeder den Erfolg auf gleiche Weise plane, so Loy, dann müsse ja jeder den gleichen Erfolg haben. Kann ja gar nicht so sein.
Darauf wären die Fans vielleicht noch alleine gekommen. Andere Irrtümer deckt er mit sicherem Griff in die Datenkiste auf. Haben gefoulte Spieler selbst den fälligen Strafstoß ausgeführt, ist ebenso oft ein Tor gefallen wie beim Schuss irgendeines Mitspielers. 75 Prozent aller Elfmeter werden verwandelt, egal wer schießt. Das Spiel über die Flügel garantiert keineswegs den Erfolg. Hört, hört: Das in Verruf geratene Spiel durch die Mitte führt ebenso oft zum Torerfolg. Auch die oftmals gepriesenen Doppelpässe sind alles andere als ein sicheres Erfolgsrezept. Des Bundestrainers Patentmittel, das schnelle Spiel nach vorne, es taugt nicht allzu viel. Loy hat sich 10.000 Angriffe aus internationalen Begegnungen und denen der Bundesliga angesehen. Sein Ergebnis: Nur ein Prozent aller Angriffe über weniger als vier Stationen führen zum Torerfolg. Dagegen fällt nach sieben Prozent aller Angriffe, die über mindestens 13 Stationen laufen, ein Tor. Beinahe weise wirkt das, was Ede Geyer, der einmal Cottbus in die erste Liga geführt hat, da einst festgestellt hat: „Wir haben zu wenig Spiel ins Tempo gebracht.“ Ansonsten: Lauter Blöde. Loy zitiert genüsslich die Tempoapologeten und zertrümmert ihre Aussagen mit seinen Zahlen.
Den populär aufbereiteten Daten aus der Sportwissenschaft werden unzählige Zitate von Trainern und Spielern entgegengesetzt. Und eben weil deren Fußballwissen sich als wenig Pisa-reif erweist, verzweifelt der Fan bei der Lektüre nicht. Fußball ist ein Sport von Ahnungslosen für Ahnungslose. Der Fan befindet sich mit seinem Unwissen auf Augenhöhe mit den Machern das großen Fußballs. Und die Lehre aus dem Lexikon: Niemand kann für nichts was. Erfolg im Fußball wird nicht gemacht, er passiert. ANDREAS RÜTTENAUER
Roland Loy: „Das Lexikon der Fußballirrtümer“. C. Bertelsmann, München. 16 €
Finstere Welt
Fit werden wie Schweini. Eine Einführung in die hohe Kunst der Schwanzverlängerung
„Spätestens wenn der eigene Körper zum Feind wird, sollte man sich ein paar grundsätzliche Gedanken über sein Leben machen.“ Der Durchschnittsmann um die vierzig weiß, wovon hier die Rede ist. Michael Horeni, Sportjournalist der FAZ, hat dem Gedanken Taten folgen lassen. Von Juni 2007 bis Mai 2008 hat er sein sportentwöhntes Leben umgekrempelt: Unter Anleitung der Fitnesstrainer der Fußballnationalmannschaft, Oliver Schmidtlein und Shad Forsythe, wollte er die EM-Norm von Ballack, Schweinsteiger und Co. meistern. Ob er es geschafft hat, soll hier nicht verraten werden. Aber auch jenseits der Ergebnisfixiertheit erfährt man aus Horenis Buch eine ganze Menge, frei nach der Devise: Nicht für die Fitness, sondern für das Leben lesen wir.
Denn für alle, die sich bevorzugt auf den Ponyhöfen der Republik herumtreiben, in (einst) linken Studentenstädten oder in Berlin-Kreuzberg, jedenfalls so weit wie möglich entfernt vom gesellschaftlichen Mainstream, ist Michael Horenis Buch eine Expedition ins Herz eines fremden und finsteren Kontinents. So ist es in der Welt des Journalisten aus Mainhattan selbstverständlich, eine „alte Freundin“ in Hamburg zu besuchen und dazu in einem Hotel abzusteigen. Nun gut, es handelt sich um eine Dienstreise. Um kurz nach sieben Uhr morgens ruft die Dame dann an, um das vereinbarte gemeinsame Frühstück abzusagen, sie habe „noch einen „Marketingtermin reinbekommen“ – nachdem man sich zuvor „etliche Monate“ nicht gesehen hat. Sie schlägt vor, stattdessen gemeinsam eine Stunde laufen zu gehen und dabei zu „quatschen“.
Was läge näher, als der Madame einen schönen Tag zu wünschen und sie anschließend bei einem sentimentalen Frühstück von der Liste der emotional vertieften Kontakte zu streichen? Aber da Horenis Welt ausschließlich aus Menschen besteht, die reden, denken und handeln, als seien sie einer deutschen Vorabendserie entsprungen, muss er sich Unverschämtheit und Kaltherzigkeit wohl oder übel gefallen lassen.
Es ist diese Welt, die aus der biologischen Tatsache des Älterwerdens einen Kampf ums soziale Überleben werden lässt. Horeni ist durchweg umzingelt von anderen „Kerlen“ aus der oberen Mitte der Gesellschaft, die sich wie Jungs beim Schwanzvergleich dauerfrotzelnd und höhnend der Fitnessbemühungen ihrer Konkurrenten annehmen. Es ist eine Welt der bürgerlichen Zwänge, in der „man natürlich nicht fehlen“, in der man „natürlich nicht aus der Reihe tanzen“ darf, in der die Putzfrau „natürlich viel mehr als eine Putzfrau“ ist, mit der sich „eine gewisse gegenseitige Vertrautheit“ entwickelt hat und die sich an den Anblick ihres nur mit einem Lendentuch bekleidet der Dusche entspringenden Dienstherrn wohl oder übel hat gewöhnen müssen.
„Vom Hemd zum Helden“ ist so was wie die Coupé-Version von Tommy Jauds Debilenfibel „Vollidiot“. Die Bestsellernorm wird Horeni wohl nicht erreichen, lässt er doch eine gewisse ironische Distanz zur ihn umgebenden Schweinewelt aus Kollegen und Nachbarn aufscheinen. Vor denen kann man wirklich nur weglaufen oder sich im Fitnessraum verbarrikadieren – tatsächlich hinterlassen Schmidtlein und Forsythe unter all den kaputten Arschlöchern, die dieses Tagebuch bevölkern, einen angenehmen, beinah hominiden Eindruck.
Nach der Lektüre hat man das angenehme Gefühl, wenigstens ein paar Dinge im Leben richtig gemacht zu haben. Und das fühlt sich fast so gut an wie eine Runde Laufen durch den Görlitzer Park. AMBROS WAIBEL
Michael Horeni: „Vom Hemd zum Helden. Ein Fitnessjahr mit den Profis“. Scherz, Frankfurt am Main, 14,90 €