: Der Hitzkopf von Sadr City
Für einen geistlichen Führer hat Muktada al-Sadr zwei Schwächen: Er ist jung und genießt wenig religiöses Ansehen. Doch das kann er wettmachen: Er baut seine Autorität auf feurige Predigten, Armenhilfe – und eine Privatarmee
Er ist genauso schwer, ihn zu tolerieren, wie ihn als politischen Faktor auszuschalten. Vor der US-Invasion im Irak fast unbekannt zeichnet sich der junge schiitische Kleriker Muktada al-Sadr in den letzten Monaten immer wieder durch seine feurigen Predigten aus, in denen er nicht nur gegen die Besatzer wettert, sondern auch von den Irakern die strikte Befolgung des islamischen Rechts einklagt. Bisher hatte er allerdings eine direkte Konfrontation mit den Amerikanern vermieden – die ihn ihrerseits zähneknirschend duldeten.
Besonders in den schiitischen Armenvierteln im Osten Bagdads findet Muktada al-Sadr großen Anklang. Dort hatte er im vorigen Jahr mit der Übernahme von sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern und Moscheen konsequent begonnen, eine Machtbasis auszubauen. Das nach dem Irakkrieg entstandene politische und soziale Vakuum kam für ihn wie ein Gottesgeschenk.
Muktada al-Sadr genießt den Ruf, der einzige Schiitenführer zu sein, der den US-Truppen auch gelegentlich auf der Straße die Stirn bietet. Daraus zieht er seine Autorität. In den Armenvierteln gilt er heute als derjenige, der dort nach dem Krieg wieder für ein gewisses Maß von Ordnung gesorgt hat. Und sicherlich spielt bei vielen Schiiten auch eine Portion Angst vor Sadrs Schlägertrupps und neu aufgebauten Mahdi-Milizen mit, die er ohne Zögern gegen Alkoholläden oder auch gelegentlich gegen schiitische Widersacher einsetzt. Allerdings ist unklar, wie groß seine Popularität vor allem verglichen mit Großajatollah Ali al-Sistani oder Ajatollah Bakir al-Hakim unter den Schiiten, die mindestens 60 Prozent der irakischen Bevölkerung ausmachen, tatsächlich ist.
Sein größtes Manko ist seine Jugend und seine geringe religiöse Qualifikation. In beidem kann er dem populärsten Schiitenführer al-Sistani kaum das Wasser reichen, den er immer wieder für dessen stille Kooperationsbereitschaft mit den Besatzern anklagt. Auch Muktadas arabische Predigten, die er jeden Freitag in der großen Moschee in Kufa im Süden des Landes hält, zeichnen sich nicht gerade durch eine feine Ausdrucksweise aus.
Al-Sadr wird auf ungefähr 30 geschätzt, manche sprechen gar von nur 25 Jahren. Er selbst verschweigt sein Alter. Da es ihm aufgrund seines nicht vorhandenen religiösen Gelehrtenstatus nicht erlaubt ist, den Koran und andere religiöse Quellen zu interpretieren, zitiert er ständig den iranischen Ajatollah Kasim al-Haeri, der für sein striktes Eintreten für die Welajat-i-Fakih, die Herrschaft der Geistlichen, bekannt ist.
Um seine Schwachpunkte auszugleichen, beruft sich Muktada immer wieder auf seinen Vater, Großajatollah Sadik al-Sadr, und dessen Onkel, Großajatollah Mohammed Bakr al-Sadr. Beide wurden von Saddams Geheimdienst umgebracht und beide haben bei den Schiiten einen legendären Ruf. Sie tauften denn auch das Armenviertel Saddam City wenige Tage nach der amerikanischen Eroberung Bagdads in Sadr City um. Ein junger Schiit in Bagdad fasst Muktadas Erfolgsrezept in einem Satz zusammen: „Er hat den Namen seines Vaters geerbt, er fordert radikal das Ende der Besatzung, und er hat eine laute Stimme.“
KARIM EL-GAWHARY