Man trägt wieder Seele

„Tank“: So heißt das vielleicht wichtigste Projekt des Moks. Theatermacher auf dem Sprung in die Profikarriere gestalten hier eine Komplettproduktion nach eigenem Gusto. „Kontext Haruki“ heißt das sehenswerte Ergebnis in diesem Jahr

Psy-factor oder Psychologie? Das ist die entscheidende Frage: Wäre der Finger ins Nutellaglas gebannt und der stetige T-Shirt-Wechsel im tigernden Auf und Ab die Folge einer Verhexung? Oder sind das nur Zeichen der Neurose?

„Kontext Haruki“ heißt die Produktion des „Tank II-Ensembles“. Tank – das ist eines der, vielleicht das wichtigste Projekt des Jugendclubs der städtischen Bühnen: Eine Plattform für Theatermacher auf dem Sprung in die professionelle Schauspielszene. Von Regisseur Rüdiger Pape mehr betreut, denn gesteuert hat die junge Crew „Kontext Haruki“ komplett selbst entwickelt, von der Stoffauswahl übers Textbuch bis zur Aufführung. Premiere war am Freitag im Kontorhaus. Haruki, so viel Kontext muss sein, ist Haruki Murakami, japanischer Romancier, Jahrgang 1949, der allmählich auch in Deutschland entdeckt wird.

Aus dessen Oeuvre haben Johanna Dieckmeyer, Minna Wündrich, Kai Lenke, Tobias Pflug und Jonathan Prössler Passagen exzerpiert – gewissermaßen also: entkontextualisiert –, ergänzt und dramatisiert. Oft mit Varianten; immer so, dass sich aus der Abfolge ein Zusammenhang ergibt. Ein enger, ein motivischer, mehr als ein Bilderbogen, weniger als eine Erzählung; ein im Werk begründeter Kontext – und doch ein neuer.

Die Erzählungen sind durchweg Boy-meets-girl-&-vice-versa-Stories: kaum spektakulär, ja, sogar bewusst banal. Ihr theatralischer Reiz besteht im Schillern zwischen jenem Alltäglichen und einer gewaltigen Emphase des Moments.

„Hübsch ist sie jedenfalls nicht“: Während die anderen mit den Augen seinem Blick folgen und alles nur mögliche Relativierende über die Unbekannte äußern, schaut Kai Lenke sehnsüchtig in die Spots. Stockend: „Du bist für mich das hundertprozentige Mädchen!“ Über seinem Gesicht strahlt die Sonne der Erleuchtung. Nur, die gesteigerterte Erwartung ist unerfüllbar. Auch und gerade bei glücklichem Ablauf des Treffens verbleibt flirrende Leere. Ist das ein normaler Seelenvorgang? Oder Folge übernatürlicher Einflüsse?

Das ist das abstrakte, und doch vorzüglich sichtbar gemachte Rätsel der Aufführung. Sie bedient sich, nur konsequent, einer sehr zurückgenommenen Bildsprache. Ganz wie ein psychologisches Kammerspiel. Ohne allerdings – dank der intimen Kontorhaus-Bühne und der beeindruckenden Mimik der Jungakteure – in dessen klassisches Aneinandervorbeireden zu verfallen. Obschon traumschwer ist der Dialog doch Dialog: Sie fragt, mit schläfrigen Lidern, ob er sie umbringen wolle. Er verneint’s. „Warum sollte ich?“ Das ist ein ebenso lächerliches wie intimes Moment des Verstehens. Die Seele geht auf in dämmrigen Rauschzuständen. Sie ist das Ritual. Sie wird außen getragen, auf der Haut, wie ein Piercing. Oder ein Pickel.

Benno Schirrmeister

Kontorhaus Schildstraße: heute 21 Uhr, sowie am 11. und 13. Juni um 22.30 Uhr