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Archiv-Artikel

Ein Mix erzählter Geschichten

„ ‚Undesirable Elements‘ ist ein Projekt über Differenz“, sagt der Regisseur Ping Chong

taz: Sie suchen während eines Castings Teilnehmer mit Migrationshintergrund aus und lassen sie ihre Lebensgeschichte erzählen. Aus verschiedenen Lebensgeschichten basteln Sie dann eine Textcollage, die von Laienschauspielern aufgeführt wird. Welche Idee steckt hinter dem Projekt?

Ping Chong: Das Projekt verfolge ich schon lange. Dies ist die 21. Produktion. Seit Ende der 80er-Jahre gibt es in den USA eine wachsende Intoleranz gegenüber Migranten. Ich selbst bin asiatischer Abstammung. Ich bin in Toronto geboren und kam mit einem Jahr nach New York. „Undesirable Elements“ ist ein Projekt über Differenz. Über Differenz nicht nur in Bezug auf Migranten, sondern auch in Bezug auf die Ureinwohner. Weil der Indianer ein Fremder in seinem eigenen Land ist. Zuerst suchte ich Leute, die eine zweite Sprache sprachen. Und als ich mit den Interviews angefangen hatte und die Leute nach ihrer Familiengeschichte und Herkunft befragte, spielten Kultur, Geschichte, Identität, Klasse und das Geschlecht plötzlich eine große Rolle.

Fühlen Sie sich als Amerikaner?

Ich bin Amerikaner durch den Pass, aber ich fühle mich nicht als Amerikaner. Ich bin die erste Generation. Meine Famile sprach chinesisch und nicht englisch.

Ihr Projekt begann in Amerika, aber Sie tourten auch durch Holland …

Und durch Japan. Bei meinen Stücken geht es immer darum, wie ich oder andere Ausländer sich in einem Land fühlen. Beispielsweise in Japan. Das Projekt in Japan trug den Titel „Gaijin“, das heißt „Ausländer“. Es hat eine negative Bedeutung. In Japan sind die Koreaner die Türken. Es geht bei meinem Projekt immer darum, dass man sowohl seine persönliche Geschichte als auch die Geschichte von Kultur und Rassismus erzählt. Letzendlich geht es darum, wie sich Kulturen gegenseitig wahrnehmen.

Wie machen Sie die Show?

Wir interviewen die Leute zirka vier Stunden lang. Und auf der Basis dieser Interviews erarbeiten wir ein Skript. Wir weben die Geschichten zusammen, die die einzelnen Leute dann vortragen. Jeder erzählt seine Geschichte, aber die Geschichten werden chronologisch vermixt. Es ist wie ein Choral, wie ein Musical.

Was ist Ihr Kriterium bei der Auswahl der Laienakteure?

Ob sie interessante Geschichten haben und ob sie eine sensible Wahrnehmung haben. Es ist wichtig, welche Einsichten sie über Kultur und Geschichte herüberbringen. Sie müssen nicht notwendigerweise gute Performer sein.

Sie haben 20 Leute zum Casting und wählen 6 davon aus. Nach welchen Gesichtspunkten?

Ein wichtiger Punkt ist, wie sie aufeinander reagieren. Ein Beispiel: In den USA haben wir eine Migrantin aus Exjugoslawien ausgewählt, die in Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sah und dann enttäuscht war. Mit ihr spielte eine Indianer, der unter sehr schlechten Bedingungen im Reservat aufwuchs. Es war mir wichtig, zu sehen, wie diese beiden Leute über Amerika reflektierten und welche Erwartungen sie haben, um ihre Situation zu ändern. Die eine hat den Genozid in Jugoslawien erlebt, der andere ist Erbe des Genozid an den Indianern. Das sind Gemeinsamkeiten, nach denen wir suchen.

Gibt es Unterschiede, wenn Sie in Berlin, Amsterdam oder Japan arbeiten?

Ja. In Deutschland gibt es keine Geschichte der Einwanderung wie beispielsweise in den USA. Das Verhältnis zu Ausländern ist ein anderes. Und zweitens gibt es hier keine Geschichte der Sklaverei. Die Türken sind hier seit dreißig Jahren. Das ist gar nichts. Und Holland gibt sich besonders liberal. Was wir allerdings hinterfragen.

Haben die USA im Verhältnis zu Deutschland Ihrer Meinung nach eine gelungene Migrationsgeschichte?

Die Vitalität der Vereinigten Staaten hängt von der Migration ab. Deshalb ist New York so eine lebendige Stadt. Wenn ein Land allerdings ökonomische Probleme hat, wird der Migrant schnell zum schwarzen Schaaf. Zum Beispiel ist es momentan sehr schwierig, Muslim zu sein in den Vereinigten Staaten. Wenn man das Bush-Kabinett sieht, glaubt man nicht an die multikulturelle Gesellschaft. Es hat eine religöse, rechte Ideologie. Andrerseits ist das Bush-Kabinett das multikuturellste, das wir je hatten. Nur die Politik, die gemacht wird, ist nicht multikulturell. Sie ist weit davon entfernt.

INTERVIEW: EDITH KRESTA

„Undesirable Elements Berlin“ von Ping Chong und Michael Rohd findet an folgenden Terminen statt: Freitag, den 6. 6. um 20 Uhr, Samstag, den 7. 6. um 21 Uhr, Sonntag, den 8. 6. um 21 Uhr , Dienstag, den 10. 6 um 20 Uhr und Mittwoch, den 11. 6. um 20 Uhr im Haus der Kulter der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin