silke burmester : Der „Stern“ wird zur Kohlroulade
Damit’s auch im Ausland immer lecker nach Deutschland riecht
Mit dem Aufkommen von Online-Redaktion war plötzlich jeder „Journalist“. Der „User“ legte ein Leseverhalten vor, das erst entschlüsselt werden musste. Das Netz als Spielplatz der Dilettanten gab Ideen Platz wie der, eine Reportage müsse mit 1.200 Zeichen auskommen. Das entspricht der Hälfte dieses Textes. Natürlich sind ein paar sehr professionelle, informative Online-Portale entstanden, wie die des Spiegels oder Sterns, aber der große Run auf die Vielzahl der Angebote blieb aus. Ebenso die Bereitschaft, für Infos aus dem Netz Geld auszugeben.
Den „Siemens-Mitarbeiter in Peking“ hat Gruner + Jahr im Visier, wenn es ab heute seinen Stern als E-Paper ins Internet stellt. Keine Konkurrenz zu stern.de, mit eigener Redaktion, inhaltlichen Schwerpunkten und rund 7 Millionen Besuchen. Für 2,50 Euro – aus rechtlichen Gründen der gleiche Preis wie am heimischen Kiosk – kann der heimwehgeplagte Deutsche im Stern blättern, ohne das Papier in die Hand zu nehmen.
Frank Plümer, Pressesprecher des Sterns, beschreibt die Vorzüge. Wer „am anderen Ende der Welt“ weilt, will gar nicht alles so genau wissen. Es zählt nicht die detaillierte Information über den Rentenstreit, sondern die „emotionale Verbundenheit mit der Heimat“. Wer zu Hause den Stern in die Hand nimmt, das waren im März 2004 7,4 Millionen Menschen, der genießt es, sich ein Stück Deutschland ins Tipi oder die Bambushütte zu holen und „das Rezept von Kohlrouladen nachzukochen“, so das Kalkül.
Vornehmlich gehe es darum, neue Vertriebswege zu eröffnen, „den Stern weltweit zugänglich zu machen“, so Plümer. Eine Trial-&-Error-Unternehmung, für die man in den ersten Monaten eine Nutzerzahl „unterhalb des vierstelligen Bereichs“ erwartet.
Das klingt ein wenig zu puschelig für eine Rechenwerkstatt wie G+J. Man fragt sich: Auf welche Nutzer zielen die, zumal keine Kohlroulade so gut schmeckt wie bei Mutti? Die G+Jler sind fixe Kerle. Die sind Agenda-2010-mäßig einfach schon weiter. Denn wenn es in unserer schönen, nach Essen duftenden Heimat so weitergeht, dann müssen immer mehr Deutsche als Gastarbeiter ins Ausland gehen. Rohre verlegen in Frankreich und so.