: Die Nische an der Neiße
Medienkrise? Welche Medienkrise? Am 15. April startet mit der „Görlitzer Allgemeinen“ eine neue Zeitung. An der Grenze zu Polen soll so das Monopol der „Sächsischen Zeitung“ gebrochen werden
VON STEFFEN GRIMBERG
Für den Journalisten Markus Kremser (30) ist die vergangene Woche einfach zu früh passiert. Da ließ die Görlitzer Staatsanwaltschaft das Büro des Oberbürgermeisters und das Rechtsamt der Stadt direkt an der polnischen Grenze durchsuchen, von Untreue ist die Rede und von Millionenbeträgen. Für eine Lokalzeitung aufregend und doch Routine. Aber Kremser hat ein Problem: Die erste Ausgabe seiner Görlitzer Allgemeinen (GA) erscheint erst am Freitag kommender Woche.
Am 15. April wird Deutschland mitten in der Zeitungskrise um einen Titel reicher sein. 16 Seiten täglich von Montag bis Samstag will die 14-köpfige Truppe produzieren. Lassen sich davon mittelfristig 4.500 Exemplare in der mit Umland 60.000 Seelen zählenden Stadt absetzen, sei man bei „plus minus null“, sagt Kremser. Wer von lokalen oder regionalen Ereignissen lesen will, kommt an der Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung mit Stammsitz Dresden nicht vorbei. Knapp 20.000 ihrer insgesamt mehr als 300.000 Exemplare setzte sie in der Region Niederschlesien ab.
Während sich die Sächsische, eine Tochter des Bertelsmann-Großverlags Gruner + Jahr und der SPD-Holding DDVG, durch nichts von anderen solide-langweiligen Regionalblättern unterscheidet, ist die Ausrichtung der GA so klar wie lokal. Kremser hat bei der Neuen Südtiroler Tageszeitung aus Österreich gelernt, wo der örtliche Bezug – und die Erfahrung einer Grenzregion – Programm ist. Auch in der GA sollen die Seiten mit Nachrichten aus Deutschland und dem Rest der Welt in die Blattmitte wandern. Die Spitzenplätze vorn sind den Lokalnachrichten vorbehalten. Das entspricht dem Leseverhalten bei Regionalzeitungen – und oftmals der Qualität ihrer „überregionalen“ Berichterstattung: „Mehr als Chronistenpflicht per Agentur ist da nicht drin“, sagt Kremser. Doch damit könne man getrost weiter hinten aufwarten. „90 Prozent der Leser lesen zuerst den Lokalteil.“ Und der gehöre daher nach vorn. Die meisten Verlage sehen das anders – ein „falscher Ansatz“, sagt Kremser selbstbewusst. Zumal Lokaljournalismus für ihn nicht bei der vorbildlichen Vereinsberichterstattung aufhört.
„Wenn die Lkw-Maut auf der Bundesebene das große Thema ist, brechen wir das runter und reden mit den betroffenen Görlitzer Spediteuren“, so Kremser. Geht es um die Bahnreform, heißt das in Görlitz zweigleisiger Streckenausbau und Elektrifizierung. Gehört hat man das alles schon einmal. Doch nur die wenigsten Blätter schaffen es, dieses ehrgeizige Konzept im schnöden Zeitungsalltag durchzuziehen. Doch neben Ehrgeiz und Idealismus braucht es Geld. Hier wird er etwas zugeknöpfter: Ja, er sei auch Finanzier des Blattes. Ein Familienbetrieb sozusagen. Kredit und eigene Mittel.
Für das jenseits der Neiße liegende Polen – der ehemalige Ostteil der Stadt heißt seit 1945 Zgorzelec – hat die GA einen eigenen Mitarbeiter, in Polen wird das Blatt auch gedruckt. Aber: „Die tumbe Masse steht Polen einfach nicht normal gegenüber“, sagt Markus Kremser ungeschützt. Im September soll das Zusammenwachsen der beiden Städte mit einer großen Performance symbolisieren, mit Licht und Filmen auf der Neiße – als Teil der prestigeträchtigen Bewerbung der Stadt um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ 2010.
In der Stadt selbst wird ein eigener Zustelldienst für die Zeitung aufgebaut, im Umland ist die GA auf die Post angewiesen, denn die Sächsische Zeitung hat ihren Vertrieb logischerweise nicht für den neuen Konkurrenten geöffnet. Auch sonst bereitet sie sich auf das Ende ihres grenznahen Monopols vor: Während jüngst im übrigen Sachsen die Abo-Preise um einen Euro stiegen, blieb die Gebühr für die Görlitzer Gegend stabil.
Von der nach wie vor grassierenden Werbekrise hat sich die GA dabei weitgehend abgekoppelt. „Wir kalkulieren auch kaum mit Anzeigen“, sagt Kremser, und das sei nicht die einzige Parallele zur taz: Von marktüblichen Gehältern, selbst vom schon deutlich darunter liegenden Durchschnitt der ostdeutschen Regionalzeitungen, ist die GA weit entfernt. Doch darum geht es vielleicht auch gar nicht so sehr. Sondern darum, die eigene Zeitung zu machen.