: Vier Rücktritte in fünf Minuten
Peter Strieder tritt von allen politischen Ämtern zurück. Wowereit sagt, das sei unter den jetzigen Umständen richtig. Rot-Rot hält sich weiter für stabil. Opposition sieht Anfang vom Ende der Koalition
VON STEFAN ALBERTI
Nach fünf Minuten war gestern Mittag alles vorbei. Peter Strieder war nur noch Peter Strieder, der 51-jährige Jurist. Nicht mehr Landeschef der Berliner SPD, nicht mehr Stadtentwicklungssenator, nicht mehr Abgeordneter. Und auch nicht mehr Mitglied der Bundesversammlung. „Mein Rückzug aus allen politischen Ämtern ist unausweichlich geworden, um weiteren Schaden von Berlin, meiner Partei und auch meiner Person abzuwenden“, sagte Strieder in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz.
Im Senat folgt ihm seine bisherige Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Als neuen Vorsitzenden der Berliner SPD schlug der Landesvorstand gestern Abend den Fraktionschef Michael Müller vor. Bis zum Parteitag am 20. Juni wird die ehemalige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann die Partei kommissarisch leiten. Zuvor hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bereits klar gemacht, dass er diese Funktion weder anstrebe noch die Kombination mit dem Regierungsjob für günstig halte.
„Mein Rücktritt ist kein Schuldeingeständnis“, sagte Strieder. Im Gegenteil: Er sei überzeugt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in der Tempodrom-Affäre eingestellt würden. „Das wird jedoch an der Vorverurteilung, die stattgefunden hat, nichts ändern.“ Dabei seien die ihn treffenden Vorwürfe „falsch und ungerecht“. Dennoch sei der Eindruck entstanden, Berlin sei unfähig, sich zu reformieren. „Die Beschädigung des Rufs Berlins muss im Interesse der Berlinerinnen und Berliner ausgeräumt werden. Voraussetzung dafür ist mein Rücktritt.“
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ließ sich deutlich mehr Zeit als der scheidende Senator und äußerte sich eine halbe Stunde lang. Sonst hätte es sich ja auch kaum gelohnt, von Mallorca aus einzufliegen. Denn wie beim Abgang von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) im Sommer 2002 erwischte der Rücktritt Wowereit im Urlaub. Ein Déjà-vu: Wie damals kam Wowereit leger in blauem Blazer, heller Hose und ohne Krawatte zur Pressekonferenz. Neben ihm die Frau, die Strieder nachfolgt: Junge-Reyer. Am 29. April soll das Abgeordnetenhaus sie zur Senatorin wählen.
Der Rücktritt sei unter den jetzigen Umständen richtig gewesen, sagt Wowereit. „Das Maß der Vorverurteilung war so groß geworden, dass Peter Strieder ein Verbleib im Amt, ohne persönlichen und politischen Schaden zu nehmen, nicht möglich war.“ Er will Strieder jedoch nicht um den Rücktritt gebeten haben. Auch zu den Konsequenzen legt er sich nicht fest: „Ob damit der Druck rausgenommen ist, kann ich nicht beurteilen.“
Der Regierende ist trotz des Rücktritts seines einstigen Supersenators zu Kalauern aufgelegt. Ob die PDS sich nun warm anziehen müsse ohne Strieder, der als Klammer der Koalition galt, wird er gefragt. Warm anziehen? Die Temperaturen würden doch gerade steigen. Ernsthaft sagt Wowereit, er habe mit PDS-Wirtschaftssenator und Vizeregierungschef Harald Wolf gesprochen. Man sei sich einig, dass die Koalition gut zusammenarbeite und das auch weiterhin tun werde.
So äußert sich etwa zur gleichen Zeit auch PDS-Landes- und Fraktionschef Stefan Liebich: Die Koalition bleibe „stabil und handlungsfähig“.
Die Grünen hingegen sehen den „Anfang vom Ende des rot-roten Senats“. Durch den Abgang des Baumeisters der rot-roten Koalition seien SPD, PDS und der Senat angeschlagen, äußerten sich die Chefs von Partei und Fraktion. Strieder stehe für das alte, verfilzte Westberlin. Mit ihm sei der versprochene Mentalitätswechsel nicht zu machen.
Union und FDP sehen ebenfalls eine Senatskrise. CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer wertet den Rücktritt als „Schuldeingeständnis, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt“. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner spricht von einer ebenso „unglücklichen wie unfähigen Koalition“.
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