Limousinen am Berg

Mal Hommage, mal Pastiche, mal Witzelei: Sylvain Chomets Animationsfilm „Das Rennen von Belleville“ schöpft aus dem Zitatenschatz des Nachkriegsfrankreichs

Überraschungen im Animationsfilm kamen in letzter Zeit oft aus dem alten Europa, etwa die „Wallace and Gromit“-Knetfiguren von Nick Park oder der auf der Ars Electronica ausgezeichnete Kurzfilm „Maly Milos“ von Jakub Pistecky. Jetzt verspricht eine französisch-belgisch-kanadische Koproduktion den Zeichentrickfilm mit 3-D-Bildern und Witz zu bereichern.

„Das große Rennen von Belleville“ erzählt die Geschichte von Champion und seiner Großmutter Souza. Der Junge ist ein sehr ruhiges Kind. Er spricht kein Wort im ganzen Film. Seiner Großmutter gelingt es erst, ihn aufzuheitern, als sie ihm ein Dreirad schenkt. Für Champion, der die Radrennfahrer bewundert, ist dies der Beginn einer großen Leidenschaft, aber auch von großen Leiden. Denn später wird die Großmutter eine unerbittliche Trainerin. Auf dem Dreirad des Jungen folgt sie – mit einer Trillerpfeife den Takt vorgebend – dem erwachsenen Radprofi. Ganz bis zur Spitze hat er es freilich nicht geschafft, aber immerhin nimmt er an der Tour de France teil und quält sich die Berge hoch. Zwei dunkle Gestalten – Mischwesen aus Schrank und Men in Black – entführen Champion und zwei weitere Fahrer nach Belleville – ein von Ornamenten überwuchertes New York voller französischer Emigranten mit Heimweh. Dort müssen sie in einem Keller für französische Mafiosi die Tour auf einer komplizierten Heimtraineranlage nachfahren, bis sie völlig erschöpft sind. Ein Killer steht schon bereit, um sie vor versammelter Mannschaft hinzurichten.

Der Regisseur Sylvain Chomet, mit Preisen ausgezeichnet für seine Comics und Kurzfilme, hat einen extrem frankofon codierten Film gedreht. Zahllos sind die Anspielungen auf Asterix, Franquin, Tati, überhaupt auf das Nachkriegsfrankreich. Er gefällt sich in Zitaten – mal als Hommage, mal als Pastiche, mal als grobe Witzelei. Doch er bleibt darin stecken. Er spielt mit Verweisen, entwirft großartige und komische Bildwelten, vergisst aber darüber fast seine eigenen Figuren. Viele Szenen sind entzückend, die Verfolgungsjagd in 2CV-Stretchlimousinen wird zu einer komischen Fahrt durch die Filmgeschichte der Karambolage. Rasant ist sie aber nur selten, bei jeder Steigung verlieren die Autos so viel Geschwindigkeit, dass die Mafiosi aussteigen, um zu schieben.

So bricht nach kurzweiligen 80 Minuten die Geschichte ab, ohne dass wichtige Fragen geklärt sind: Wer ist Champion? Wo sind seine Eltern? Warum spricht die Großmutter Portugiesisch? Der Film gibt poetische Andeutungen, bleibt im Ungefähren. Für einen Kurzfilm reichte das völlig aus, denn hier genügt Atmosphäre, um die Handlungen der Figuren zu motivieren. In „Das große Rennen von Belleville“ aber entwickeln sich die Figuren nicht, und es gibt keine Fabel. Das ist insbesondere bedauerlich, da die Zeichnungen charmant und eigenwillig sind, der Witz auch für Erwachsene funktioniert und lange Zeit die Hoffnung keimt, wieder einmal eine große Entdeckung aus dem alten Europa gemacht zu haben. Eine kleine Entdeckung aber ist „Das große Rennen“ in jedem Fall.

MARTIN ZEYN