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Archiv-Artikel

Willste mal ‘ne Straßenzeitung?

Auch die Obdachlosenzeitungen bekommen die Medienkrise zu spüren – allerdings bloß am Rande. Größere Probleme als sinkenden Werbeeinnahmen bereiten ihnen Organisationshürden und Sympathietiefs sowie die Konkurrenz auf der Straße

„Eine Straßenzeitung hat eine besondere Ausstrahlung auf dickköpfige Leute“

von MAREKE ADEN

Die Berliner Motz vor dem Aus, ein weiterer klitzekleiner Dominostein auf der Kippe in jenem großen Spiel, das weltweite Medienkrise heißt. Aber die Motz wäre erst die zweite von 30 Straßenzeitungen, die es in Deutschland aus dem Rennen wirft. „Sympathie“ ist das, was die Zeitungen am Leben hält – künstlich zwar, weil wider alle Marktregeln, aber wirksam. Die Zeitungen haben „sympathisierende Anzeigengeber“ und Käufer, denen der Inhalt halbwegs gleich ist, sagt Reinhard Kellner vom Bundesverband Soziale Straßenzeitungen. Die Werbeeinnahmen seien deswegen kaum zurückgegangen, der Verkauf nur um 10 Prozent.

Dennoch bangen vielerorts die Obdachlosenzeitungen um ihre Existenz. Deshalb wollen sie enger zusammenarbeiten und gemeinsame Sonderseiten herausbringen. Das wurde am Sonntag bei der Jahrestagung des Budesverbandes Soziale Straßenzeitungen verkündet. „Man kauft in einer wirtschaftlichen Krise vielleicht nicht mehr jedes Käsblatt“, sagt Kellner. Aber dann strengten sich die Redakteure der Zeitungen wieder etwas mehr an, „und es geht wieder“. Was der Fall Straßenfeger, ein Konkurrent der Motz auf dem Berliner Markt, bestätigt. Mit professionellerem Personal kann er dieses Jahr voraussichtlich erstmals das Sympathietief Sommer vermeiden, das die Auflage bisher von 15.000 auf 10.000 sinken ließ. Nur Helmut Poss von der Essener Ruhrstadt Zeitung hält dagegen, dass Obdachlosenzeitungen weniger gekauft würden, weil sie das Neue verloren hätten. Weil die Zeitungen nicht neuer würden, seien die 10 Prozent Rückgang erst der Anfang einer Entwicklung.

Maßstäbe aus dem BWL-Lehrbuch sind hier jedoch nicht anzulegen. Gemacht werden die Zeitungen nicht für die U-Bahn-Fahrer. „Unsere Kundschaft sind die Leute, die die Zeitungen verkaufen und unbürokratisch die Möglichkeit erhalten, wieder Geld zu verdienen“, sagt Bernd Braun, Geschäftsführer der Motz.

Trotzdem wollen fast alle aus eigener Kraft ihr Geld verdienen. Tatsächlich kommen die meisten Zeitungen ohne staatliche Förderung aus, auch wenn sie sich gegenseitig der Entgegennahme von Alimenten verdächtigen. „Wir haben niemanden, der für uns EU-Fördertöpfe durchforsten könnte“, sagt Motz-Mann Braun.

„Man kauft in einer wirtschaftlichen Krise vielleicht nicht mehr jedes Käsblatt“

Die Zeitungen selbst reichen als Geldquelle aber in den wenigsten Fällen aus. Die Projekte finanzieren sich fast immer über ein zweites Standbein – Trödelläden oder Antiquariate, die von Spenden leben zum Beispiel. Weil der Entrümpelungsservice der Motz so schlecht läuft, ist die Zeitung bedroht.

Schneider argumentiert dagegen recht wirtschaftsliberal, die Motz sei in der Krise, weil sie mit ihren 15 Beschäftigten nicht mehr flexibel genug sei. Da sich der Straßenfeger auch ohne Notaufrufe vor Spenden kaum retten könne, hält er die Motz-Nebeneinkünfte aber ohnehin für etwas dubios.

Reinhard Kellner vom Bundesverband vermutet, dass die Konkurrenz in Berlin zu Wettbewerbsverdrängung führen kann. „Die Berliner Kollegen glauben aus irgendwelchen Gründen, dass sie drei Zeitungen brauchen“, sagt er, „ aber es kommt beim Kunden schlecht an, wenn ihm alle halbe Stunde jemand mit einer Straßenzeitung hinterherrennt.“ Bernd Braun von der Motz findet eine gewisse Diversifizierung der Szene normal. „Eine Straßenzeitung hat eben eine besondere Ausstrahlung auf besonders sture, dickköpfige, empfindliche Leute“, sagt er. Da könnten unterschiedliche Geschmäcker zu Zerwürfnissen führen, besonders da das in einer Straßenzeitung meistens nicht den Verlust eines bezahlten Arbeitsplatzes bedeutet. Erst nachdem in der Motz 15 bezahlte Stellen entstanden sind, sei die Arbeit etwas ruhiger geworden. Sobald die Motz die Löhne nicht mehr zahlen könne, werde sie eingestellt, sagt Braun.