: Raus aus der Abstellkammer
Endlich Frühling und Zeit für lange Spaziergänge: Peter Kurzecks Roman „Als Gast“
Wenn das kein typisches Buch aus dem Frühjahrsprogramm ist! In Peter Kurzecks neuem Roman „Als Gast“ hält der Frühling Einzug: „Du gehst und dann merkst du, der Frühling kommt bald! Du gehst ihm entgegen! Immer gerade hier bei dem Rauch, dem Schrott und Gerümpel merkt man es zuerst. Und Zuversicht, eine wilde Freude! … Durst, Kleingeld, die Nachtluft. Noch lang auf der Welt bleiben!“ Das Leserherz schlägt Purzelbäume: Ein Frühling kann so nur noch schöner werden!
Die Geschichte wirkt unscheinbar: 1984 lebt in Frankfurt am Main ein Mann, Schriftsteller, Peter mit Vornamen, neuerdings von seiner Partnerin Sibylle getrennt. Der hat bislang in einer „Abstellkammer“ gehaust und kann jetzt endlich bei netten Bekannten „als Gast“ ein geräumigeres Zimmer mit Ausblick beziehen. Täglich morgens holt er seine Tochter Carina bei ihrer Mutter ab, bringt sie zum „Kinderladen“ oder spaziert mir ihr über den Flohmarkt, trifft literarische Agenten und Freunde, bevor er jeden Abend die kleine Carina wieder in den Schlaf singt.
Peter schreibt gerade ein Buch über das oberhessische Staufenberg, in dem er nach dem Krieg lange gelebt hat. Doch der Erzähler gerät leicht ins Trudeln, kommt vom direkten Weg ab, und ist in zwei, drei Erinnerungswelten gleichzeitig. Dann bleibt die Zeit ihm stehen, wenn er sich bei überraschenden Ausflügen in Erinnerungen verliert und sich am Ende erst mühsam selbst wiederfinden muss. Nicht verwunderlich, dass es für den Erzähler und den Leser dann einen ganzen Tag oder eine ganze Woche unablässig kurz vor neun ist.
Aus dem schlichten Vordergrundgeschehen kann der Erzähler auf diese Weise ohne viel Aufwand jede Menge atemberaubender Ab- und Umwege gehen. Der Autor braucht beileibe keine „Etym-Theorie“, wie der vergötterte Heidepoet Arno Schmidt, und keinen mythologischen Firlefanz wie James Joyce, um das Allergewöhnlichste zu einem beeindruckenden Erzählgeschehen werden zu lassen. Es gelingt Kurczek, einen eigenen, unverwechselbaren „Ton“ durchzuhalten, der sich als betörender Singsang auf des Lesers Gedanken legt, kaum dass sie selbst wissen, wie ihnen geschieht.
Ach ja, übrigens, der Mann da, der Erzähler in diesem Buch: Das ist Peter Kurzeck, als sein eigener Biograf! Beschreibt er dort doch sich selber als Gespenst! Bleibt mir nur zu sagen: ein äußerst sympathisches, lesenswertes Gespinst. TOM WOLF
Peter Kurzeck: „Als Gast“. Stroemfeld, Frankfurt am Main 2003. 429 S., 19 €