: Zum Schlafen untern Tisch
Was tun, wenn einen die eigenen vier Wände umzingeln? Stapeln, basteln und immer schön die Füße einziehen! Ein Selbsterfahrungsbericht über das Leben auf sechs Quadratmetern
Von Dorothea Ahlemeyer
Die Nachbarn von gegenüber halten mich für komisch. Warum stopft die ihre gesamte Einrichtung in eine Ecke des Zimmers und hockt immerzu da, wo wir sie am allerbesten beobachten können? Warum schneidet die sich die Fußnägel nicht irgendwo, wo man das nicht mitverfolgen muss? Ganz einfach, liebe Nachbarn. Weil es für Tisch, Bett, Schrank und Sessel keinen anderen Platz gibt und ihr jeden einzigen Spalt meines Zimmers einsehen könnt. Nicht, weil dasFenster Luxusmaße hätte. Das ist bloß die üblichen 1,20 Meter breit. Aber damit ist es fast so breit wie der komplette Raum. Ich wohne auf sechs Quadratmetern.
„Was?“ fragen Besucher und ziehen die Stirn in Falten: „Das geht?“ Das muss gehen, wenn dir während der Wohnungssuche das Bafög gestrichen wird und 90 Euro Miete daher wie eine göttliche Weisung erscheinen. Das geht. So lange einem beim Knutschen die Nachbarn egal sind, die gegenüber mit den Köpfen schütteln und sich fragen, warum man sich nicht an einen privateren Ort verkriecht für solche Sachen.
Ansonsten können sechs Quadratmeter sogar unglaublich praktisch sein. Tür und Fenster lassen sich von der Zimmermitte aus gleichzeitig öffnen. Socken suchen, Kissen ordnen, Bücher sortieren – man muss sich für nichts davon aus dem Sessel quälen. Blöderweise kriegt man aber auch kaum einen Fuß auf den Boden, wenn der Sessel mal nicht untern Schreibtisch geschoben steht. Da passt er nämlich hin – ganz knapp.
Alles passt ganz knapp in diesem Raum – die Stereoanlage zwischen Schrank und Zimmerdecke, die Matratze an die zwei Meter breite Wand mit dem Fenster. Wohnvergnügen in winzigen Zimmern ist halt eine Frage der Maßarbeit.
Als mir die WG die sechs Quadratmeter letzten Frühling zusagte, bewaffnete ich mich mit Zollstock und Kreide und maß meine zukünftige Wohnfläche zentimetergenau aus. Anschließend wurden ausgediente Möbelstücke von Schwestern, Kumpeln und Schwägerinneneltern so lange aussortiert und hin- und hergerückt, bis die Masterlösung endgültig stand. Auf einer Fläche so groß wie unser Küchentisch daheim.
Mit zunehmender Höhe wimmelt es jetzt an den Wänden von zunehmend breiteren Regalen, auf denen sich Bücher, Socken-Kisten und Fotoalben stapeln. Trotzdem herrscht fortwährend Chaos. Versuch mal einen Wanderrucksack auf einem Din-A-2-Blatt-großen freiliegenden Stück Boden ein- und auszupacken! Wenn Besuch kommt, verschwinden Wäsche, Mülltüten und Aktenordner fix in Opas alter Lederkiste. Anschließend wird die zugeklappt, damit sich der Besuch auch setzen kann. Solange draußen Plusgrade sind und die acht auf Bett, Fensterbank, Sessel und Sitzkiste verteilten Gäste nicht rauchen, kann man bei mir sogar Parties feiern. Wenn nicht, droht entweder der Kältetod oder eine veritable Rauchvergiftung. Ansonsten wird es kuschelig. Meine Ex-Mitbewohnerin pflegte mein Zimmer für Kuppelversuche zu nutzen, wenn ich mal nicht da war. Sie verfrachtete versackte Partygäste dorthin zum Schlafen – jegliche Form von Nicht-Annäherung schloss sich von selber aus. Schon praktisch so ein Minizimmer.
Bloß auf einen Fernseher muss man verzichten. Nicht weil dafür kein Platz wäre. Am Fußende des Bettes ist noch ein Stück Wand frei, an dem sich das nötige Regal sicher anbringen ließe. Das Problem ist bloß meine Mama. Die sagt nämlich, zweieinhalb Meter Mindestabstand vom Bildschirm seien beim Fernsehen Pflicht. Schade. Zweieinhalb Meter Abstand ist nicht drin. Nirgendwo in diesem Zimmer.