: Letzte Ausfahrt Promotion
Weil vielen Universitätsabsolventen die Arbeitslosigkeit droht, entscheiden sich immer mehr von ihnen, einen Doktor zu machen. Doch die Zahl der Stipendien ist begrenzt und eine Promotion auf dem freien Arbeitsmarkt nicht immer von Vorteil
VON CHRISTOPH RASCH
Nennen wir ihn Paul. Paul ist Ende zwanzig, hat sein Diplom in Händen und eine düstere Zukunft klar vor Augen: Der Stellenmarkt der Zeitung gibt wenig her, seine Bewerbungen kommen reihenweise zurück und auf noch ein unbezahltes Praktikum hat Paul keine Lust mehr –schließlich hat er schon lange genug studiert: Soziologie, oder Philosophie, oder Politikwissenschaften.
Paul ist ein konstruierter Fall – doch so wie ihm geht es tausenden Hochschulabsolventen. Und um der Jobmisere zu entfliehen, wählen immer mehr von ihnen zwar nicht den „Königsweg“, aber einen, der immerhin zu höheren Weihen führen könnte: Sie promovieren, nicht primär aus übersprudelndem Forscherdrang, sondern weil sich nichts Besseres findet. Der „Verlegenheitsdoktor“ scheint auf dem Vormarsch.
Ein Trend, der auch an den Berliner Universitäten anzutreffen ist. „Die Absolventen machen sich heutzutage tatsächlich mehr Sorgen über ihre berufliche Zukunft als früher“, sagt etwa Helga Knigge-Illner von der Zentralen Studienberatung der Freien Universität. Dort berät sie auch die Studierenden, die es vorziehen, „für sich im stillen Kämmerlein an einer Dissertation zu arbeiten, um damit dem Kampf auf dem Arbeitsmarkt zu entgehen.“ Die – promovierte – Psychologin kennt auch die Gründe, die dafür eine Rolle spielen: „Manche haben den Praxisbezug in ihrem Studium vernachlässigt und trauen sich dann nicht zu, auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.“
Die Statistik zeigt: Doktoren sind seltener arbeitslos und verdienen durchschnittlich mehr. Und eine Promotion könnte ja zumindest einen zeitlichen Aufschub bieten, bevor der Ernst des Lebens beginnt, denken sich viele Absolventen. Doch die meisten Experten raten ab, eine sich über mehrere Jahre hinziehende Doktorarbeit lediglich zur „Überbrückung“ nutzen zu wollen.
Denn eine Promotion beflügelt den Start ins Arbeitsleben keinesfalls immer. Zwar ist der Doktorhut in manchen Branchen und Berufen fast obligatorisch – nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch in der Chemie- oder Pharmaindustrie, zuweilen auch in den Rechtswissenschaften oder im Kulturbetrieb, doch die Not-Dissertation birgt auch Risiken. Manch einer könnte so gänzlich den Anschluss an den Arbeitsmarkt verlieren. Und dann gibt es noch viele Personalchefs, die Vorurteile gegenüber den frisch gebackenen Doktoren hegen: „Unfähig zur Teamarbeit“, heißt es da, mit Anfang, Mitte dreißig „zu alt“ oder schlicht: „überqualifiziert“. Um sich weiterzuqualifizieren, raten die Fachleute eher zu Aufbaustudiengängen, Praktika oder Auslandsaufenthalten.
Doch nicht immer geben erhoffte bessere Jobaussichten den Ausschlag, „gezwungenermaßen“ zu promovieren – manchmal geht es auch einfach nur ums Geld. Um Miete, Heizkosten und darum, mit einem gestifteten Promotionsstipendium übers Jahr zu kommen. Auch hier: Tendenz steigend.
„Wenn jemand nun mangels guter Jobaussichten promovieren will, so ist das für uns kein Kriterium für oder gegen ein Stipendienvergabe“, sagt Hans-Ottmar Weyand von der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die im vergangenen Jahr eine wahre Flut von Bewerbern für Promotionsstipendien erlebte – 1.200 Anträge, mehr als doppelt so viele wie etwa im Jahr 2000. Folge: Die öffentlich mitfinanzierte Stiftung verhängte einen Bewerbungsstopp. Weyand rechnet auch für das laufende Jahr mit einer ähnlich hohen Zahl der Antragsteller.
Ein Grund für den Engpass bei Doktorandenstipendien ist, dass die Bundesländer oder parteinahe Stiftungen ihre Fördermaßnahmen reduziert haben – ein anderer ist die „Situation auf dem Arbeitsmarkt“, sagt der Leiter der Promotionsförderung. Doch an das massenhafte Auftreten von „unmotivierten Verlegenheits-Doktoranden“ glaubt Weyand nicht: „Eine Doktorarbeit ist ein äußerst anspruchsvolles Projekt, und wer damit anfängt, Exposés schreibt und im Dialog mit Doktorvater oder -mutter arbeitet, der muss auch langfristig mit vollem Ernst dabei sein.“ Also kaum eine Chance für Verlegenheits-Doktoranden in spe?
„Bei den meisten“, so Helga Knigge-Illner, „bleibt es im Stadium der Absichtserklärung oder der ersten Versuche stecken“ – und werde allenfalls noch während der anfänglichen Stellensuche zu einer Art „Beschäftigungstherapie“. Eine „Diss“ kann eben nicht mit der „heißen Nadel gestrickt“ werden, weiß die FU-Psychologin, die die meisten Kniffe auf dem Weg zum Doktorhut kennt – und sie in einem Buch zusammengefasst hat.
Den Studenten, die ihr Diplom und die Entscheidung „Berufsleben oder Promotion?“ noch vor sich haben, fordert sie auf, sich frühzeitig auf inhaltliche Schwerpunkte im Studium zu konzentrieren sowie möglichst viele Praktika zu machen, um zum einen Arbeitsprozesse als soziale Abläufe kennen zu lernen; zum anderen, um die am Arbeitsmarkt gefragten Zusatzqualifikationen zu erwerben, wie EDV-Kenntnisse, Textverarbeitung oder Fremdsprachen. Und ihren Doktoranden rät Helga Knigge-Illner, während der Promotion „an die Öffentlichkeit zu treten“, mit Vorträgen und Publikationen in Fachzeitschriften etwa. Ziel dabei ist es, schon während der Promotion viele Kontakte zu potenziellen späteren Arbeitgebern zu knüpfen.
Helga Knigge-Illner: „Der Weg zum Doktortitel. Strategien für die erfolgreiche Promotion“. 204 Seiten, Campus Sachbuch, 15,90 €