Verlieren wie eine Löwin?

Weil ihre Töchter im Hochhaus von einem Nachbarn missbraucht wurden, will Mutter K. mit ihren Kindern nie wieder in einen Wohnblock ziehen. Doch für den Stütze-Satz von 390 Euro findet sie nichts auf dem privaten Markt. Jetzt droht der Showdown

„Wo war hier der Fallmanager?“, fragt die Sozialhilfe-Expertin

taz ■ Gudrun K. kennt ihre Rechte als Sozialhilfeempfängerin. Die 44-jährige alleinerziehende Mutter weiß genau: Nachdem zwei Kinder letztes Jahr aus „ihrem“ Gröpelinger Reihenhäuschen ausgezogen sind, muss sie mit den beiden übrigen Töchtern in eine kleinere und billigere Wohnung ziehen. „Das ist klar“, sagt sie. Doch seit einem Jahr finde sie für die 390 Euro, die das Amt für Soziale Dienste anfangs zubilligte, auf dem privaten Wohnungsmarkt keine Bleibe. Nun droht der Sozialhilfeempfängerin die Räumungsklage, weil das Amt seit Februar ernst macht. Statt der Hausmiete von 780 Euro überweist es nur noch 390. Schon türmen sich die Mietschulden. Es droht die Räumungsklage. Doch Gudrun K. hat sich geschworen: „Kein Hochhaus. Kein Ghetto. Meine Töchter sollen nicht nochmal alles aufgeben.“ Dahinter steckt ein Drama – für das offenbar niemand eine Lösung hat.

Vor acht Jahren hat ein Nachbar die beiden jüngsten Töchter der Familie K. missbraucht – in einem Hochhausblock in der Vahr. „Erst nach langem Kampf mit dem Sozialamt konnten wir vom Tatort wegziehen“, erinnert sich die Mutter. Bestimmte Stadtgebiete hat sie seitdem als Wohnadressen gestrichen: Solche, wo sie das Risiko von Übergriffen als besonders hoch einschätzt. Und Hochhäuser. „Die sind mit der Vergangenheit verbunden.“ Noch ist ihre Jüngste (12) in Therapie.

Vergangenes Jahr hatte der Körper des Mädchens einfach ausgesetzt. Migräne. Bauchschmerzen. Aber im Krankenhaus fanden ÄrztInnen keine körperliche Ursache. „Eine Folge des Missbrauchs“, sagt die Mutter. Die ältere Tochter (14) bezieht befristet 150 Euro Opferrente, seit Gutachter ihr Angstzustände attestierten. Ein entsprechendes Verfahren für die Jüngere läuft noch. Aus dem vertrauten Stadtteil will die Mutter deshalb nicht mehr weg. Doch auch beim Verwaltungsgericht fand sie kein Verständnis.

Den monatlichen Fehlbetrag von 400 Euro Miete fürs Reihenhäuschen müsse die Stadt nicht zahlen, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, urteilten die Richter. Außerdem liege die sexuelle Belästigung nun schon sehr lange zurück.

„Der Täter hat ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung bekommen“, sagt Gudrun K. wütend. „Bei dem hat man gesagt: Sie Armer, Sie haben in ihrer Jugend vor 40 Jahren Schlimmes erlebt.“ Bei ihren Töchtern heiße es jetzt: „Acht Jahre? Das muss doch schon vorbei sein.“ – „Ist es aber nicht.“ Gudrun K. kalkuliert jetzt mit dem Mut der Verzweiflung, dass die Räumungsklage ein halbes Jahr Spielraum bringe – den sie für die Wohnungssuche noch braucht.

„Kommt es zu einer Räumungsklage, muss die Frau mit rund 3.000 Euro Anwaltskosten plus Mietschulden rechnen“, schätzt der Jurist Gert Brauer beim Bremer Mieterschutzbund. Damit gerate die Sozialhilfeempfängerin in eine aussichtslose Lage. „Das Amt für Soziale Dienste hätte anders reagieren können. Dann wäre das verhindert worden.“

„Wo war hier der Fallmanager?“, fragt auch Ursula Stielike von der Waller Beratungsstelle AGAB. Offensichtlich funktioniere die bei den Sozialzentren geplante Fallberatung nicht wie geplant. Dort hätte man eine Regelung erarbeiten müssen, die der Problematik der Familie gerecht geworden wäre. „Man muss sich in die Lage der Mutter hineinversetzen“, plädiert Stielike.

Von einem Fallmanager hat Gudrun K. noch nichts gehört. „Hilfe? Hab’ ich wieder nicht bekommen.“ Im Sozialzentrum West seien im vergangenen Jahr vier verschiedene SachbearbeiterInnen für sie zuständig gewesen. Nur auf eine – zu kleine – Wohnung sei sie hingewiesen worden. Nun lege man ihr zum Nachteil aus, dass sie nicht gleich im letzten April einen B-Schein beantragt habe. „Dass ich das tun soll, stand aber nirgends.“ „Frau K. weiß seit einem Jahr, dass sie ausziehen muss“, sagt die Sozialbehörde dazu. Diese Haltung der Verwaltung habe auch das Verwaltungsgericht bestätigt.

Und doch hat das Amt für Soziale Dienste im April – als K. schon 2.000 Euro Miete schuldete – eine kleine Kurskorrektur vorgenommen. Statt der Minimalförderung von 390 Euro wird Frau K. nun eine Miete von 420 Euro zugestanden. Ebenso das Darlehen für ein Deponat bei einem privaten Vermieter. „Wenn sie das gleich gemacht hätten, wäre alles vielleicht etwas leichter geworden“, sagt Frau K. ede