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Archiv-Artikel

Der Ruhrkrieg von 1920

Vor 84 Jahren kämpfte die Rote Ruhrarmee gegen Freikorps-Einheiten. Wie wenige Ereignisse hat dieser Krieg die Geschichtsschreibung polarisiert

Der Begriff „Ruhrkrieg“ trifft es am besten. Um nichts anderes handelte es sich, als um einen Bürgerkrieg

VON HOLGER HEITH

Die Ereignisse im Ruhrgebiet zwischen dem 13. März und 10. Mai 1920 waren so ungewöhnlich, dass es kaum einen allgemein gebräuchlichen Begriff für die Vorkommnisse selbst, wohl aber für die handelnde Institution gibt. Die Rote Ruhrarmee ist zum Synonym für einen Hergang geworden, das in der Literatur als „Aufstand an der Ruhr“, „Ruhrkampf 1920“ oder „Großaufstand im Anschluss an den Kapp-Putsch“ bezeichnet wird. Anders als „der Spartakus-Aufstand“, „die Kieler Matrosen-Revolte“` ist hier die handelnde Institution im kollektiven Gedächtnis haften geblieben.

Sicher wäre der Begriff „Ruhrkrieg“ der treffendste. Um nichts anderes handelte es sich, als um einen knapp dreimonatigen Bürgerkrieg. Militärhistoriker behaupten, Bürgerkriege seien die brutalste Form des Krieges. Auch im Ruhrkrieg gab es Verbrechen auf Seiten der Roten Ruhrarmee und in noch furchtbarerem Ausmaß auf Seiten der siegreichen Freikorps und Reichswehrverbände.

Die Kämpfe bei dem Angriff auf die Reichswehrgarnison in Wesel, mit Schützengräben, Maschinengewehrnestern und Granatwerfern rufen die Bilder des Stellungskrieges in Frankreich ins Gedächtnis. Vor 20 Jahren konnte man in einem Vorort von Dinslaken die Reste der Schützengräben des Ruhrkrieges noch erkennen. Die teils weltkriegserfahrenen Männer erwiesen sich anfangs durchaus dem Gegner gewachsen. Es fehlte jedoch ein weisungsbefugtes, respektiertes Leitungsorgan, das strategische Ziele verfolgt hätte.

Wie wenige Ereignisse der deutschen Geschichte hat der Ruhrkrieg in der rückwärtigen Betrachtung polarisiert. Die zeitnahe, nationalistische Betrachtung sah eine von Moskau gesteuerte Erhebung von „Heranwachsenden“ und „Plünderern“, ohne die abwartende Rolle von Teilen des Bürgertums und die zwielichtige Rolle der Reichswehr in Frage zu stellen. Kommunistische und auch andere linke Historiker glorifizierten die Rote Ruhrarmee bis in die jüngste Zeit zur verpassten Chance gegen den katastrophalen Fortlauf der deutschen Geschichte und wiesen der Sozialdemokratie die Schuld am Scheitern zu. Letztere wiederum mühte sich, Spielräume und Handlungszwänge der verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung als Rechtfertigung heranzuziehen. Unterhalb der wissenschaftlichen Ebene ist die Rote Ruhrarmee bis heute Grund emotionaler Streitigkeiten. Eine der Internetsuchmaschinen bietet zum Begriff „Rote Ruhrarmee“ in einem Politforum eine Diskussion aus den letzten Monaten über den Irakkrieg an. Dort zerstritt man sich so sehr, dass einer androhte, dem anderen nach dem Sieg einer „Neuen Roten-Ruhrarmee, im Keller des MfS-Hauptgebäudes am Dserschinski-Platz in Duisburg die sozialistischen Flötentöne beizubringen“. Während der Bedrohte anbot der „alten Stalinistensau jeden Buchstaben von Dserschinski einzeln aus den Zahnreihen zu kloppen“.

Zurück ins Jahr 1920. Schon während der Kämpfe in Bochum verteidigten die verbandstreuen Mitglieder der sozialdemokratisch orientierten Bergarbeitergewerkschaft ihren Hauptsitz in der heutigen Universitätsstraße, gegen die Rote Ruhrarmee. Aber da war der Bürgerkrieg schon zum Bruderkrieg geworden. Was bleibt als „Vermächtnis“ zurück? Als weite Teile der deutschen Eliten versagten, gründete sich die Rote Ruhrarmee spontan als eine Abwehrreaktion gegen den antidemokratischen Umsturzversuch in Berlin. Nach ihrer Zerschlagung wurde sie zu einem Symbol für den tiefen Riss innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung.

Holger Heith, 36, ist Historiker im Bochumer „Archiv für soziale Bewegungen“