: „Das steht so“
20 Jahre Straßenkampf: Hamburgs Rocklegende „Slime“ ist jetzt auf DVD. Schlagzeuger Stephan Mahler erklärt, wie viel Gebeule es wirklich gab
Interview: Markus Flohr
taz hamburg: Muss Deutschland immer noch sterben – oder sind „Slime“ und linksradikaler Punkrock mit der DVD „Wenn der Himmel brennt“ endgültig zu einer historischen Quelle geworden?
Stephan Mahler: Es ist eine Dokumentation, unser Vermächtnis. Die DVD spannt bewusst nicht den Bogen zu heute. Texte wie „Bullenschweine“ oder „Deutschland muss sterben“ würde ich so nicht mehr schreiben. Damals waren diese Sachen für uns nicht abstrakt, sondern konkrete Erfahrungen aus dem Alltag. Heute habe ich mich aus den Polit-Strukturen und Grüppchen eher rausgezogen.
Aussagen wie „Yankees raus!“ haben also keine aktuelle Relevanz?
Wir reden hier über diese DVD. Dass zwei ehemalige Slime-Mitglieder, Dirk und Elf, vor kurzem eine Band namens Rubberslime gegründet haben und viele alte Songs, auch „Yankees raus“ in einer neuen Version spielen, hat damit nichts zu tun. Ich stehe deren Projekt sehr kritisch gegenüber. Ich könnte mich als Vierzigjähriger nicht auf die Bühne stellen und den Kids so etwas entgegengrölen. Wir haben einige Differenzen deswegen, die betreffen aber nicht „Wenn der Himmel brennt“. Alles, was da drauf zu sehen und alles, was zu hören ist, waren Slime. Das steht so und ist gut. Auch „Yankees raus“ von 1982.
Ist der Polit-Punk ein deutsches Phänomen?
Ich glaube nicht, dass sich so etwas auf der Länderebene gut vergleichen lässt. In den USA gab es beispielsweise Mitte der 80er die so genannte „Straight-Edge“- und Hardcore-Szene, da verstanden sich auch viele als sehr politisch. Wir haben mal mit den Dead Kennedys gespielt – die waren für uns so etwas wie Götter, Vorbilder auf jeden Fall. Über Politik haben wir mit denen nicht gesprochen, aber es war klar, dass die mit ihren Texten irgendwo auf Höhe der SPD gelandet wären. Was für die radikal war, ging uns lange nicht weit genug.
Ist Hamburg „Rock-City“ – gibt es ein Bindeglied zwischen „Slime“, den „Goldenen Zitronen“ und „Tocotronic?“
Musik und Texte sind völlig unterschiedlich, an der Stadt liegt das nicht. Aber eine Gemeinsamkeit ist der Charakter einer „Educated Punk Band“, mit dem auch die Zitronen und Tocotronic irgendwann losgegangen sind. Mittlerweile haben sich musikalischer Anspruch und Sound deutlich verändert, die Texte sind aber immer noch außergewöhnlich.
Wäre „Slime“ auch ohne die staatliche Repression gegen die Band so bekannt geworden?
Du wirst auf jeden Fall nicht nur deshalb bekannt, weil eine Platte oder ein Song auf dem Index landet. Interessant wurde das erst, weil wir schon vor „Bullenschweine“ oder „Deutschland“ einen bestimmten Bekanntheitsgrad hatten. Ich glaube nicht, dass diese albernen Pieptöne auf der Platte eine Band bekannter machen.
Sollte lieber gar nichts zensiert werden?
Die Verfolgung von Slime-Texten und von der Band als solcher ist total lächerlich. Dass Nazi-Propaganda verboten wird, finde ich aber total in Ordnung. Ich weiß, dass das zweierlei Maß ist, aber richtig finde ich es trotzdem. Wer Slime hört, der geht danach nicht mit dem Baseballschläger los und schlägt Leute zusammen. Ich hoffe das Gegenteil ist der Fall – wer Slime hört, fängt an, über seine Welt nachzudenken. Das ist der Unterschied.
Wäre die Welt eine bessere, wenn „Slime“ in den Charts wären?
Natürlich. Aber wenn die Welt eine bessere wäre, dann wäre eine Band wie Slime nicht mehr so wichtig, wir hätten unsere Texte nicht so geschrieben wie geschehen. Insofern ist diese Frage absurd.
Was kommt wirklich bei den Leuten an, die sich am heimischen DVD-Player alte „Slime“-Videos und Songs reintun?
Slime besteht ja nicht nur aus Hass-Songs gegen die Polizei, Staat und Nazis. Unsere Message, unser „State of Mind“ war schon Anfang der 1980er stark von anderen Themen geprägt. Es gab ja nicht nur Parolen-Punk mit der erhobenen Faust, sondern tiefer gehende Texte, die darauf zielten, Alternativen darzustellen. Für ein anderes Leben, innerlich wie äußerlich.
Sollten „Slime“-Platten zum Standard-Repertoire von Goethe-Instituten gehören?
Absolut. Ist doch besser als Pur, oder? Die müssen ja nicht unbedingt „Bullenschweine“ oder „Polizei SA-SS“ in die Bibliothek stellen. Da gibt es ja musikalisch auch viel interessantere Songs von Slime.
„Wenn der Himmel brennt“: Weird System, Alstertwiete 32, 20099 Hamburg, Tel. 040-2803040