Friedenspizza

Dem Paradies nie entronnen: „In-A-Gadda-Da-Vida“ in der Tate Britain vereint erstmals die Studienkollegen Angus Fairhurst, Damian Hirst und Sarah Lucas in einer Ausstellung. Die riskanten Abwege aber, die sie anstreben, bleiben ihnen verschlossen

von BRIGITTE WERNEBURG

Der fromme Wunsch ist so alt wie falsch wie unverwüstlich. Es möchte doch in den schönen Künsten ein Paradies hienieden zu finden sein. „In-A-Gadda-Da-Vida“ allerdings, die Gruppenausstellung von Angus Fairhurst, Damien Hirst und Sarah Lucas in der Tate Britain, könnte ihn womöglich weiter befördern. Das Glück des Rausches, das die drei so oft miteinander teilten seit ihren Studententagen am Goldsmith College, der Kaderschmiede des internationalen Markenzeichens Young British Art, beherrscht die Schau deutlicher als der Kater danach. Er freilich sollte das Thema ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung nach siebzehn Jahren Freundschaft sein. Der Titel der Schau stammt von der gleichnamigen LP, die die amerikanische Rockband Iron Butterfly 1968 herausbrachte. Doch weil sich ihr Leadsänger und Komponist des Titelsongs, Doug Ingle, bestimmt so himmlisch fühlte, wie er betrunken war, als er „In the Garden of Eden“ als „In-A-Gadda-Da-Vida“ lallte, scheint der geniale Stolperer doch nicht auf die richtigen, heißt: die gefährlichen Abwege zu führen.

Zwar hängte Angus Fairhurst über den Eingang die Neonschrift „Stand Still and Rot“ (Steh still und verfaule), doch dieser geradezu an Dante gemahnende Gestus, wer hier eintrete, möge alle Hoffnung fahren lassen, bleibt ein leeres Versprechen. Trübseliges ist in der Schau durchaus zu finden. Aber hoffnungslos ist sie nicht, im Gegenteil. Zunächst brilliert Damien Hirst ein weiteres Mal. Seine Suche nach dem Vergessen ist von der „Kreuzigung“ inspiriert, die Francis Bacon 1946 malte. Hirst installiert also „The Pursuit of Oblivion“ in einem riesigen, raumhohen Aquarium, in das er seine gewohnten Rinderhälften wie einen gekreuzigten Körper hängt. Dazu kommen ein Kuhkopf, eindrucksvolle Wurstketten, eine Schlachterbank samt Schlachtermesser, ein zerbrochener Spiegel, ein aufgespannter schwarzer Regenschirm, ein Stundenglas, ein menschlicher Schädel und jede Menge bunter Fische, die lustig und höchst lebendig zwischen all diesen hoch symbolischen Gerätschaften schweben. Sie geben dem Wassertank freilich einen solch surrealistischen Charakter, dass er weniger an eine Hommage an Francis Bacon als an Salvador Dalí gemahnt.

Damien Hirst, so zeigt es sich ein weiteres Mal, ist ein Ästhet sondergleichen. Das macht seine große Stärke, aber auch seine große Schwäche aus. Denn was bei „The Pursuit of Oblivion“ fasziniert, bleibt bei „The Collector“, einem weiteren Glaskasten, in dem eine bewegte Figur Schmetterlingsflügel unter dem Mikroskop untersucht, belanglos. Die Fülle der Details gerät hier zur reinen Raumausstattung, zumal die Idee doch sehr mäßig ist, dass der Sammler über den toten Objekten seiner Begierde die Pracht der bunten, um ihn herumflatternden Schmetterlinge nicht sehen kann. Die riesigen runden Oblaten aus Schmetterlingsflügeln, die die Wände zieren, machen dann Hirsts Hang zum Dekorateur weiter deutlich. Das ist enttäuschend, aber die Hölle ist es nicht.

Auch Sarah Lucas bleibt ihren Materialien treu: den Marlboro Lights, den abgewrackten Stühlen und den Ausrissen, die sie aus der Boulevardpresse sammelt. Charakteristisch für ihr Vorgehen, den Dingen zu größerer Sichtbarkeit und höherer Deutlichkeit zu verhelfen, nimmt sie jetzt den Kreuzzug gegen die Raucher wörtlich und hängt einen aus Marlboro Lights gefertigten Christus an ein rotes, an die Wand gemaltes Sankt-Georgs-Kreuz. Der Titel der Arbeit heißt „Christ You Know It Ain’t Easy“. Während man sich an „The Ballad of John and Yoko“, die letzte Single der Beatles, erinnert, summt man, der zunehmend resignierenden Raucher eingedenk: „You know how hard it can be. The way things are going, they’re gonna crucify me.“ Hier vermittelt die Schau eine vage Ahnung davon, dass sie vom Ende des Goldenen Zeitalters handeln will, von der schweren Geburt von Vernunft und Selbstbestimmung.

Lucas’ provozierendste Arbeit ist dann allerdings wieder so unverschämt, so komisch und vital, dass man meint, das Problem der Ausstellung liege bei ihren beispielhaften Protagonisten. Sie sind dem Paradies, das in ihrem Fall Kunstmarkt heißen könnte, eben nie entkommen. Sie haben den Spaß an der Welt und an ihrem eigenen Treiben darin nie verloren, und entsprechend haben sie von Unsicherheit, Trauer oder Verlustgefühlen, den Grundvoraussetzungen für Nachdenklichkeit, auch nicht den blassesten Dunst.

Lucas hat einen Lastwagen im Ausstellungsraum geparkt, sein Führerhaus steht offen und erlaubt den Blick auf die vollkommen mit Pin-ups ausgekleidete Kabine. Am Fahrersitz bewegt sich sehr typisch ein weißer Gipsarm und erzählt von dem einsamen Vergnügen, zu dem diese Bilder stimulieren. Das schaut erbarmungswürdig komisch aus. Doch es wäre verlogen, hier nur Deprivation und Denunziation zu sehen. Der Führerstand ist durchaus cosy; ein gemütliches Nest, gefüllt mit den Bildern, die vielen Männern als die schönsten der Welt erscheinen. Andere Männer sammeln eben Damien Hirsts Schmetterlingsoblaten. Nun ja. Aber sollte das der Anlass sein, dass ein Gutteil der britischen Presse glaubt, die Darstellung des Fahrergeschmacks schmähen zu müssen? Richtig empört reagierte die Presse jedoch auf „All We Are Saying Is Give Pizza a Chance“. Ein Kalauer, gewiss, und doch eine ferngelenkte Bombe, gebastelt aus Propagandaprospekten von Pizzalieferanten, die ihr Ziel offensichtlich trifft: Politiker, die, wie sich jetzt herausstellt, auch nur anhand von Propagandamaterial anstelle von Faktenuntersuchungen in einen Irakkrieg gingen.

Angus Fairhurst ist der Skrupulöse unter den dreien, der intellektuell Ambitionierte. Er tapeziert den Irakkrieg als „One Year of the News“ an die Wand, wobei er die Titelseite von sechs überregionalen britischen Tageszeitungen täglich übereinander blendet, wodurch sich die Nachrichten langsam, aber sicher gegenseitig auslöschen. Doch die Idee ist besser gemeint, als sie visuell und kritisch überzeugt. Seit Jahren arbeitet Fairhurst zudem mit der Figur des Gorillas, in dem er die animalische Natur des Menschen symbolisiert sieht. Nun also steht ein solcher Prachtbrocken aus schwarzer Bronze über einen Teich gebeugt, den ein Spiegel bildet. Wie Narziss scheint er völlig von seinem Anblick fasziniert. Gleichzeitig will aber auch Jacques Lacans Theorie vom Spiegelstadium mitbedacht sein, die das Kind, das sich erstmals im Spiegel erkennt, auch schon als den mit der Welt zerfallenen Menschen beschreibt, nun zwar von Selbstbewusstsein erfüllt, aber sich selbst entfremdet. Doch auch bei Fairhurst fällt – wie bei seinen Freunden – die gedankliche Arbeit weit hinter die materielle zurück, sobald er formal überzeugt. Der Gorilla ist eine wunderbare plastische Figur und in seiner barocken Massigkeit ganz das Gegenteil jeglicher moderner Reduktion. Geradezu unvorhergesehen prächtig und formenreich sitzt er noch in zwei weiteren Variationen im Raum. Dass ihm mal ein Arm fehlt, kann an dem Eindruck nichts ändern, dass auch er eher dem Garten Eden zuzurechnen ist als dieser Welt.

Bis 31. Mai, Katalog 19,99 £