piwik no script img

Archiv-Artikel

Schnaps im geistigen Tempel

In Wuppertal gibt es eins von landesweit zwei jüdischen Restaurants: Bisher kosten aber nur wenige Nicht-Juden von Falafeln und Blaubeerpfannkuchen

Ein koscheres Essen ist ein geistiger Tempel, sagt der Wuppertaler Rabbiner Baruch Rabinowitz

AUS WUPPERTALTHOMAS BESCHE

So ganz alltäglich ist das Lokal nicht. Hin und wieder patrouillieren Polizisten vor der Tür. Eine Bierreklame, wie sonst bei Restaurants üblich, gibt es nicht. Auch die Speisekarte im Kasten fehlt. Es bedarf schon einiger Neugier, um herauszufinden, was sich im vorgelagerten Teil der jüdischen Synagoge in Wuppertal-Barmen verbirgt. Dabei ist jegliche Skepsis unbegründet: Wer es geschafft hat, die schwere Tür aus schusssicherem Glas zu öffnen, dem schwindet schnell die Schwellenangst. Ein jüdisches Restaurant, jedenfalls das in Wuppertal, unterscheidet sich nicht von der herkömmlichen Einrichtung eines (christlichen) Bistros. Das Interieur ist dem Stil des im Dezember 2002 eröffneten jüdischen Gotteshauses angepasst: schlicht und modern.

Das „Café Negev“ ist eines von nur zwei koscheren Restaurants in Nordrhein-Westfalen (deutschlandweit elf). Vor der Nazidiktatur gehörten jüdische Restaurants zum öffentlichen Leben in deutschen Städten. Berühmtheit erlangte beispielsweise der aus dem Wuppertaler Stadtteil Elberfeld stammende jüdische Koch Hans Schwarz, der dort in den 1920er Jahren sein Handwerk beim „Mittagstisch von Karfiol“ lernte. Jahre später stieg er zum privaten Küchenchef des amerikanischen Präsidenten Eisenhower in dessen europäischem Hauptquartier auf und eröffnete nach dem Krieg in New York ein Restaurant mit dem Namen “Headquarter“. In den Nachkriegsjahrzehnten hätte sich ein koscherer Gastronomiebetrieb in Deutschland nicht gelohnt, denn das jüdische Leben war so gut wie kaum existent. Erst in den letzten Jahren hat sich das aufgrund vieler jüdischer Zuwanderer aus den osteuropäischen Staaten und Russland geändert. Davon profitiert auch die jüdische Kultusgemeinde Bergisch Land, zu der Wuppertal gehört. Knapp 2.200 Mitglieder gehören ihr an.

Zu ihnen zählt auch George Schachwerdjan, der vor zehn Jahren als sogenannter Kontingentjude aus Armenien nach Deutschland kam. Nach Umwegen landete der gelernte Koch in Wuppertal und überzeugte nach einigen “Testessen“ den Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal Leonid Goldberg von seinen Künsten. Folglich bot man ihm die Gastronomie in der neuen Synagoge an. Nach knapp eineinhalb Jahren zieht Schachwerdjan ein etwas ernüchterndes Fazit. „Viele Menschen haben noch Berührungsängste zu uns zu kommen. Sie glauben, nur Gemeindemitglieder dürften hier eintreten. Dabei möchten wir zeigen, dass wir ein öffentliches Café sind.“

Für die Eröffnung und Führung eines koscheren (übersetzt: „rein“ oder „zum Verzehr geeignet“) Restaurants gelten strenge Regeln. Ohne die „Kaschrut“ geht gar nichts. Das Zertifikat im Rahmen zeichnet auch das „Café Negev“ als ein nach jüdischer Lehre korrektes Lokal aus. Unterschrieben ist es von Dr. Baruch Rabinowitz, dem Rabbiner der Bergischen Gemeinde.

Die jüdischen Speisegesetze bestehen im Kern aus drei Regeln. So dürfen Fleischgerichte und Milchspeisen nur in getrennten Küchen auf verschiedenen Tellern und mit unterschiedlichen Bestecken zubereitet werden. Der Hintergrund findet sich in den Büchern Moses. Demnach darf das „Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen“. Wenn Fleisch auf den Tisch kommt, darf es nur von Wiederkäuern und Paarhufern stammen. Deshalb ist der Verzehr beispielsweise von Kaninchen oder Wildgeflügel laut jüdischer Lehre „unrein“. Gleiches gilt für das Schwein, dass nach jüdischer Glaubenslehre „als dem Menschen zu ähnlich ist“ und neben zahlreichen anderen Begründungen auch deshalb nicht gegessen wird, weil der Sinn seiner Haltung einzig und allein nur im späteren Verzehr liegt. Fisch gilt nicht als Fleisch, sofern er Schuppen und Flossen besitzt. Krabben, Hummer oder Muscheln sind tabu, weil sie sich von Aas ernähren.

Auf der Speisekarte von Schachwerdjan gibt es aufgrund der strikten Trennung von milchiger und fleischiger Küche nur fleischlose Gerichte. Der Aufwand, zwei Küchen zu bewirtschaften, wäre zu kostenintensiv. Im übrigen ist bei geeigneten Tieren als Tötungsart das Schächten vorgeschrieben. Dabei wird das Tier mit einem blitzschnellen Schnitt durch die Halsschlagader getötet. Anschließend muss es ausbluten. Diese Form des Schlachtens ist bis auf einige komplizierte Ausnahmen in Deutschland aus Gründen des Tierschutzes verboten.

Aber nicht nur die Speiseregeln müssen in einem koscheren Restaurant eingehalten werden. „Auch die Atmosphäre und Philosophie, die dahinter stecken, müssen stimmen. Ein koscheres Restaurant ist ein geistiger Tempel, in dem sich physische und seelische Prozesse abspielen. Essen gibt uns die Möglichkeit, in der Welt etwas zu verbessern. Wer satt ist, denkt vielleicht an Menschen, die nichts zu essen haben und wie man ihnen helfen kann. Es ist ein Ort der Meditation, an dem sich alle zu Hause fühlen können“, sagt Rabinowitz.

Der Rabbiner weiß, dass koscheres Essen nicht zwangsläufig mit gesunder Ernährung einhergeht. Bei manchem Gast stößt dies auf Erstaunen. Trotz fleischloser Kost ist beispielsweise der Verzehr der in Fett gebackenen Reibekuchen ernährungswissenschaftlich nicht unbedenklich.

Im „Cafè Negev“ bietet Koch Schachwerdjan eine Komposition von Gerichten mit israelischem, orientalischem und osteuropäischem Einfluss. Raffiniert vor allem die Vorspeisen mit den zahlreichen Dips. Kein Schreibfehler ist “Gefilter Fisch“, eine aufwendig zubereitete Pastete vom Karpfen – serviert mit einer Paste aus Meerrettich und Rote Beete ein Gedicht. Falafel (frittierte Bällchen aus Kichererbsen-Mus) haben sich in der deutschen Fastfoodküche inzwischen etabliert, schon unbekannter sind „Beigels“, israelische Sesamkringel, die zu allerlei Salaten gereicht werden. Auch beim Hauptgang spielt Gemüse eine große Rolle. Dazu Kuskus oder Patates (Kartoffeln), und fertigt ist die fleischlose und leicht bekömmliche Mahlzeit. Eine pikante Lachssuppe mit Kapern, Oliven und Gurken entschädigt für den Fleischverzicht. Als Süßspeisen locken Pfannkuchen mit gefüllten Blaubeeren.

Keine Zurückhaltung kennen gläubige Juden bei den Getränken. Lediglich der Wein beziehungsweise die Verarbeitung der Traube muss koscher überwacht sein, ansonsten gilt laut Rabbi Rabinowitz: „Wir trinken alles.“ Also auch harte Alkoholika wie Wodka, Whiskey oder Brandy. Mit „Maccabeer“ gibt‘s ein leichtes Original-Bier aus Israel und die Blätter für den Pfefferminztee lässt Schachwerdjan zweimal die Woche aus dem heiligen Land frisch importierten.

Ungewöhnlich sind die Öffnungszeiten des „Café Negev“. Der Nichtjude hierzulande isst gern Freitag - oder Samstagabends auswärts. Dann bleibt bei Schachwerdjan die Küche kalt. Am Freitagabend beginnt der Schabbat, der jüdische Ruhetag, der erst bei Mondaufgang am Samstagabend zu Ende geht. „Da müsste ich je nach Jahreszeit ständig die Öffnungszeiten ändern“, sagt Schachwerdjan. Und das käme manchem Gast nicht ganz koscher vor.

Viele Menschen haben Berührungsängste und glauben, nur Gemeindemitglieder dürften hier essen

Café Negev

Gemarker Straße 15

42275 Wuppertal

Telefon: 0202/3711844

Montag bis Donnerstag 11.30-20 Uhr (und bis zum letzten Gast), Freitag 10-17.30 Uhr