Apokalyptische Sümpfe

Das Zürcher Ensemble Mass & Fieber zeichnet bei seinem Gastspiel mit „Autodrom“ im Thalia in der Gaußstraße eine düstere Endzeitvision, in der der Mensch sich selbst überflüssig macht

von Caroline Mansfeld

Laut ihrer Webseite pfeifen die Macher von Mass & Fieber bei der Arbeit. Diebisches Vergnügen war der Schweizer Theatergruppe auch bei ihrem Gastspiel mit der Theaterperformance Autodrom im Thalia in der Gaußstraße anzumerken.

Regisseur und Mass & Fieber-Erfinder Niklaus Helbling blieb seiner Devise treu: Theater, Theater, Theater und immer an die Zuschauer denken. Die fordert er gerne intellektuell heraus. Das beweist der gebürtige Züricher und langjährige Dramaturg am Thalia Theater seit Jahren mit seinem 1996 gegründeten Kollektiv und den bisherigen Produktionen Bambifikation, Präriepriester und zuletzt mit dem Comicmusical Krazy Kat.

Als Corpus Delicti hat er sich diesmal die wunderbare Welt des Automobils vorgenommen. Autodrom ist eine durchgedrehte Mensch-Maschine-Karambolage. Eine Farce über fanatisierte Automobilisten. Und eine Endzeitvision. Es beginnt harmlos mit dem Autoverkauf durch adrett gekleidete VerkäuferInnen an eine verspannte Käuferschar. Die durch mobile Holzwände angedeutete Warenwelt wandelt sich von der Bürowand zum Stau zum Gefährt und zurück. Immer im Hintergrund: die Band um Sängerin und Gitarristin Sibylle Aeberli mit Martin Gangenbein, Markus Schönholzer und Jeroen Visser.

Musik liefert bei „Mass & Fieber“ stets mehr als nur den Treibstoff. Ihre bittersüßen Songstrukturen in Hits wie „Endzeit Walzer“ oder „Warm Leatherette“ („Join the Car crash set“) können es mit internationalen Popgrößen aufnehmen.

Der Reigen durch den Wald der Modelle beginnt beim knallroten „Lobster“ und endet beim Golf „Fury“. Munter hechtet die neunköpfige Truppe durch Genres und Stilrichtungen von Comedy bis Slapstick. Zitiert Trashelemente und Musicalmotive. Konzentration auf das Wesentliche ist der erklärte Feind. Stattdessen: Überfülle der Ideen, des Materials und der Freude das Prinzip.

Situationskomik verbindet sich bei der Jungfernfahrt vierer Käufer mit nur grob angerissenen szenischen Zusammenhängen. Karsten Becker (Andreas Schröders) in seinem A8-Firmenwagen allein auf der gesperrten Autobahn ringt mit der Geschwindigkeit, das gestresste Pärchen Christine Hammerstein (Martina Schiesser) und Fritz Kuhn (Sebastian Krähenbühl) mit dem Schlaf, Marco Kirsch (Silvester von Hösslin) mit der belehrenden Sprechautomatik des Vaters und Bernadette Huber (Fabienne Hagedorn) mit der eigenen Geilheit und der ihres Porsche. Auf sie alle lauert – der Unfall. Der große Blechschaden, der sie aufgespießt als Versuchskaninchen einer Horde Wissenschaftler dahindämmern lässt.

Die Perfidie, mit der die bereits Traumatisierten weiterem „Stress“ ausgesetzt werden, gehört zu den verrücktesten und erhebendsten Momenten dieser Aufführung. Am Ende wabert der Mensch Eier legend in einer ölverpesteten apokalyptischen Sumpflandschaft als automobiles Reifenreptil herum. In der schönen neuen Blechwelt hat sich der Mensch selbst ausgemerzt. Ihrer Devise, keine Geschichten erzählen zu wollen, ist die Truppe auch in Autodrom treu geblieben. Stattdessen weben sie ein Geflecht aus Assoziationsfeldern, Texten, Geräuschen und Musik. Es ist ein wenig wie mit den Längen in den Stücken von Christoph Marthaler: Spieltrieb und Können der Akteure verbinden sich zu einem so reizend subversiven Gemälde, dass man sie dafür einfach lieben muss.