: Im Griff des Kunstmarkts
Von Künstlern und Intellektuellen möchte der heutige Sammler und Trustee nicht mehr behelligt werden. Der Kunstmarkt hat sich von seiner Produktionssphäre abgespalten, wie man etwa auf der New Yorker Armory Show beobachten konnte
VON ISABELLE GRAW
Die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche schreitet unaufhörlich voran – das weiß man. Für das Segment Kunst hatten bereits Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ festgestellt, Autonomie und Markt der Kunst bildeten eine Einheit – eine Diagnose, die heute geradezu prophetisch anmutet. Am Beispiel der Pop Art ließe sich zum Beispiel zeigen, dass der Markt auf der Ebene der Motive (Werbung, Gebrauchswaren) in sie eintritt. Noch allgemeiner formuliert können sich die Zwänge des Marktes schon in der Wahl eines Bildformats widerspiegeln. Von jener „Einheit“, die Adorno und Horkheimer vorschwebte, ist dies allerdings weit entfernt, denn schließlich hat die Kunst hier die Möglichkeit, den ökonomischen Zusammenhang, dem sie ausgeliefert ist, künstlerisch zu gestalten. Eine Gestaltung, die sie vom Markt abhebt und unterscheidet. Augenblicklich sieht es gleichwohl so aus, als würde auch dieser letzte Rest künstlerischen Freiraums von der Logik des Marktes aufgesogen. Was Künstler mit ihrer Arbeit tun oder lassen, ist nämlich – zumindest auf dem Kunstmarkt – vollständig irrelevant geworden.
Woher ich das weiß? Eine Reise nach New York, dem Zentrum des zeitgenössischen Kunstmarkts, hat mir die Augen geöffnet. Als teilnehmende Beobachterin konnte ich auf der eigentlich nur Sammlern und Trustees vorbehaltenen Eröffnung der New Yorker Messe für Gegenwartskunst, der Armory Show, erleben, dass Kunst inzwischen wie andere Luxusgüter auch gehandelt und konsumiert wird. Ich erspare Ihnen die Geschichte der widrigen, aber schließlich überwundenen Umstände, denen zum Trotz meine illegale Anwesenheit auf diesem Ereignis möglich wurde. Was ich beobachtete, war ein neuer Typus des Sammlers, der sich vom Typus des „Connaisseurs“ radikal unterscheidet, weil er keine Kennerschaft mehr anstrebt. Stattdessen legt er ein Kaufverhalten an den Tag, das nach demselben Muster erfolgt wie der Erwerb eines Markenartikels, dessen Marke für sich spricht und von dem man nichts weiter wissen will.
Allenthalben vernahm ich spitze Schreie, es wurde „wonderful!“ oder „Oh my God, it’s amazing!“ gerufen – ein Verhalten, das mich an die aufgepeitschte Atmosphäre hipper Boutiquen erinnerte. So, wie man sich in Boutiquen auf schiere Begeisterung verlegt, schien auch hier – im Angesicht von Gegenwartskunst – kein Anlass zu weiteren Nachfragen zu bestehen. Eine Galeriemitarbeiterin erzählte mir im Vertrauen, sie dürfe auf keinen Fall etwas Inhaltliches über die in der Koje angebotenen Arbeiten sagen – das verderbe das Geschäft. Allein der Hinweis darauf, dass der Künstler „jung“ sei, sei dem Verkauf förderlich – er müsse genügen. Wer also immer noch glaubt, Kunst müsse zu denken geben oder gar Probleme machen, der wurde hier eines Besseren belehrt. Man hätte sich ebenso gut auf einer Boots-, Champagner- oder Schmuckmesse befinden können. Die traditionelle Vorstellung von Kunst als einer relativ autonomen Sondersphäre lässt sich jedenfalls unter diesen Umständen nicht länger aufrechterhalten.
Seit dem Einbruch des Neuen Marktes gilt Kunst als ebenso sichere wie prestigeträchtige Anlage. Der Kunstmarkt boomt und zieht eine Klientel an, die sich Kunst zulegt wie sonst eben ein Louis-Vuitton-Köfferchen. Darin ist nichts Verwerfliches zu sehen. Ich denke nur, dass sich sowohl Produktion als auch Kritik mit diesem Sachverhalt, von dem ihre Arbeit schließlich affiziert wird, auseinander zu setzen haben. Nun ist die Zirkulation von Kunstwerken als reine, von jeglichem Sinn bereinigte Tauschwerte kein neues Phänomen, zumal diese Entwicklung bereits in den derzeit viel beschworenen Achtzigerjahren einsetzte. Neu ist jedoch, dass es ein Segment von Sammlern und Trustees gibt, die sich für das, was die Kunst zuvor noch auszumachen schien, gar nicht mehr interessieren. Die Ebene der Produktion wird vollständig ausgeblendet, was die auffällige Abwesenheit von Künstler/innen auf der Armory-Show-Eröffnung illustrierte.
Nicht nur Kritiker/innen waren ausgeschlossen, was in Anbetracht der allgemeinen Missachtung der Kritik nicht weiter verwundern dürfte. Es mussten aber auch die Künstler/innen, die in den Kojen ausstellten, mühsam durch ihre Galeristen eingeschleust werden. Alle anderen hatten fünfhundert Dollar zu zahlen. Mit anderen Worten: Den Sammlern (und davor natürlich den Messeveranstaltern) ist an der Begegnung mit real existierenden Künstler/innen gar nicht mehr gelegen. Man bleibt lieber unter sich – schließlich konkurrieren Sammler in erster Linie untereinander. Der Zusammenprall mit gegebenenfalls sperrigen, komplizierten oder auch perfekt sich selbst promotenden Künstlerpersönlichkeiten würde der reibungslosen Transaktion womöglich im Wege stehen.
Das war nicht immer so, und ich selbst erinnere mich gut an frühere Situationen auf Kunstmessen, in denen die Sammler den persönlichen Kontakt zum Künstler geradezu einforderten. Der Wunsch nach großer Nähe zum Künstler gehörte zu den wesentlichen Sammelmotiven. Heute indes wird der ganze Produktionshintergrund abgespalten, ganz so wie es Marx für die Ware und die hinter ihr verschwindenden Produktionsbedingungen beschrieben hat.
Diese Situation ist allerdings nicht nur bedauerlich – sie bringt sogar Vorteile mit sich. Verglichen mit dem Networking-Imperativ der Neunzigerjahre, der sich darin äußerte, dass sich Künstler/innen dazu genötigt sahen, Kontakte zu pflegen, lässt sich die Tendenz zur funktionalen Trennung auch als Segen interpretieren. Denn in Zukunft könnte soziale Kompetenz nicht mehr das sein, was den erfolgreichen Künstler in erster Linie auszeichnet. Stattdessen erscheint auch ein Szenario des Künstlers wieder vorstellbar, der sich zurückzieht und auf seine Arbeit konzentriert. Nachteil dieses Szenarios ist jedoch, dass es die Illusion eines vom Kunstmarkt unabhängigen Arbeitens nährt; dass man sich den ökonomischen Bedingungen, in die das Arbeiten schließlich eingelassen ist, nicht mehr stellt.
Auch das in den letzten Jahren selbstverständlich gewordene Profil des über seine Arbeit bereitwillig Auskunft gebenden Künstlers könnte also in seine Endphase getreten sein. Noch kann man es, etwa bei der Eröffnung der Berlin-Biennale, erleben, dass Kuratoren die Ausstellungsteilnehmer dazu anhalten, bei der Eröffnung zur Verfügung und, unmittelbar neben ihrem Werk postiert, Rede und Antwort zu stehen. Genau diese vermeintlichen „Absichten“ oder „Intentionen“ des Künstlers interessierten auf der Armory-Show-Eröffnung niemanden mehr.
Man vermied zwar auf diese Weise eine problematische Verkürzung in der Interpretation von Kunst, büßte aber auch die spätestens seit der Konzeptkunst durchgesetzte Definition von Kunst als programmatischer Artikulation ein. Mit dem Bild des Künstlers, der schreibt und Erklärungen zur eigenen Arbeit abgibt, ist schließlich eine historische Errungenschaft verbunden, die nicht voreilig über Bord geworfen werden sollte. Der Rückzug des Künstlers auf seine vermeintlichen „Kernkompetenzen“ steht für die Wiederbelebung eines konservativen respektive neokonservativen Kunstbegriffs.
Adorno/Horkheimer hatten vom Künstler verlangt, dass er die aus seiner Verwicklung in den Markt resultierenden Widersprüche nicht übergehen, sondern in seine Arbeit aufnehmen müsse. Wer sollte diese Widersprüche jedoch ausfindig machen, wenn nicht die Kritik? Doch die Kritik hat auf die Wertbildungen des Kunstmarkts derzeit keinen unmittelbaren Einfluss, sie kommt schlicht nicht vor, wenn es um diese Wertbildungen geht. Es sei denn, sie verlegt sich auf Promotion.
Im Zuge der Eröffnung der Armory Show beschlich mich jedenfalls der Eindruck, dass kein Mensch mehr an Kritik – wenn auch nur im Sinne einer kritischen Bemerkung oder eines schüchtern vorgetragenen Einwandes – interessiert ist. Symptomatisch dafür war die Begegnung mit einem der Direktoren der Gagosian Gallery, dem ich meine Überlegungen zur Lage auf dem Kunstmarkt mitteilte. Ich bemerkte, wie sich plötzlich sein Gesicht verzog. Seine Augen waren schreckgeweitet, und er fragte mich in abwehrendem Tonfall, ob ich etwa „an intellectual“ sei? Als ich bejahte, war sogleich Distanz hergestellt und er schien mich nur noch mit Misstrauen zu beäugen. Bezeichnend war, dass er mit der Designation „Intellektuelle“ nichts Positives zu verbinden schien. Eher etwas Lästiges. Vielleicht bleibt der Kritik unter diesen Bedingungen nur der investigative Journalismus etwa eines Günter Wallraff, mit dem Unterschied jedoch, dass man heute einräumen müsste, dass man zu den Verhältnissen, in die man sich einschleicht und die man beschreibt, auch maßgeblich selbst beigetragen hat.