: Der Westen wird zum Osten
Der Abbau West hat NRW erreicht – das Ruhrgebiet, so die Warnung, würde entvölkert. Ist es wirklich so schlimm?
Das Ruhrgebiet droht zu veröden. Die neue Bevölkerungsprognose des nordrhein-westfälischen Landesamts für Datenverarbeitung und Statistik lässt keinen anderen Schluss zu. Danach dürften die Städte zwischen Rhein und Ruhr in den kommenden Jahren derartig an Bevölkerung verlieren, wie sonst nur Kommunen im Osten der Bundesrepublik.
Bis 2020, so prophezeien es die Landesstatistiker, leerten sich die großen Städte im Revier – mit Ausnahme Dortmunds – dramatisch. So verlören beispielsweise Duisburg (minus 10,2 Prozent), Essen (minus 10,8 Prozent), Krefeld (minus 11,2 Prozent), Gelsenkirchen (minus 13,2 Prozent), Wuppertal (minus 14,3 Prozent) und Hagen (minus 16,3 Prozent) mehr als jeden zehnten Einwohner. Nur die dortigen Arbeitslosenzahlen sind höher.
Es drohe ein „räumlicher Entmischungsprozess“, warnte der grüne NRW-Bauminister Michael Vesper. Wer die Chance dazu bekomme, ziehe weg. Übrig blieben sozial Benachteiligte, die sich nicht mehr als den Pott leisten könnten. „Arm und Reich, mobil und immobil sowie deutsch und nichtdeutsch streben, räumlich gesehen, auseinander“, so Vesper. So würde der Einwohnerrückgang die Gettoisierung in den Stadtteilen massiv befördern. Das sei eine „Zeitbombe“, weil es einen enormen sozialen und wirtschaftlichen Sprengstoff berge.
Dabei hatten die Ruhrgebiets-Oberen bereits gedacht, der Abschwung sei weitgehend gestoppt. Anfang März präsentierte der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) eine Studie des Instituts für Geografie der Universität Duisburg-Essen. Das Fazit des Autors Hans Blotevogel: „Zusammenfassend können wir sagen, dass die Stadtflucht gebremst worden ist.“ Allerdings warnte auch der Pott-Professor vor allzu großem Optimismus: Die Probleme des Bevölkerungsrückgangs würden trotzdem nicht hinfällig – aufgrund der „Sterbeüberschüsse“. So entfielen von dem in der KVR-Studie prognostizierten Bevölkerungsverlust für das Ruhrgebiet bis 2015 von rund 300.000 Menschen 22,7 Prozent auf Wanderungsverluste und nur 10 Prozent auf Verluste aus Stadt-Umland-Wanderungen. Aber mehr als drei Viertel auf „Sterbeüberschüsse“!
Auf dieses Problem weist auch die NRW-Statistikbehörde hin. So dokumentieren die jetzt veröffentlichten Zahlen auch die hohe Sterberate im Revier. Die Behörde geht zwar davon aus, dass nach Mülheim an der Ruhr bis 2020 sogar etwas mehr Menschen hinziehen als abwandern. Aber die Einwohnerzahl ginge trotzdem zurück. Denn der Überschuss der Gestorbenen gegenüber den Neugeborenen betrage 10,8 Prozent, was einen Einwohnerverlust von 8,9 Prozent bedeuten würde. Mülheim ist kein Einzelfall, sondern die Regel: Wie die hiesige SPD stirbt auch das Revier langsam aus.
Doch was folgt aus dem dunklen Zukunftsszenario? Vor dem Hintergrund leerer Kassen vor allem Imagewerbung statt wirkungsvoller Programme. So bewirbt sich Essen als Kulturhauptstadt Europas 2010. „Als Kulturhauptstadt aber versteht sich die gesamte Region, die mit ihrer Bewebung an Identität, Ansehen und Weltoffenheit hinzugewinnt“, schwärmt der KVR. In Heimatduselei waren die Pöttler schon immer Spitze. Die taz ruhr titelte hingegen bereits treffend: „Ruhrgebiet wird zur Ostzone“.
PASCAL BEUCKER