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Archiv-Artikel

Das zwanzigste Schriftzeichen

Zum Schwert drängt alles: Zhang Yimous neuer Film „Hero“ nutzt die Kunst des Kampfes, um die Einigung des chinesischen Reiches zu preisen

von ANDREAS BUSCHE

In ihrer Ästhetik manifestiert sich die Geisteshaltung totalitärer Ideologien in ihrem ganzen, abscheulichen Ausmaß. Einen sicheren Instinkt konnte man den politischen Souveränen des 20. Jahrhunderts in dieser Hinsicht nie absprechen, bewegten sich doch sowohl Mussolini mit den Futuristen als auch Hitler mit Riefenstahl und Stalin mit dem späten Eisenstein immer entlang avantgardistischer Strömungen. Der Schauwert dieser populistischen Ideologien entsprang vor allem der Verbindung von folkloristischer Thematik und innovativer Form. Der einfache Fahnenträger hat den Mechanismus solcher Propaganda nie zu durchdringen vermocht. Schließlich ist es für den Erfolg von Propaganda unerlässlich, dass ihr Apparat hinter dem Apparat des Kinos verschwindet.

Heutzutage bringt natürlich fast jeder Film Ideologie hervor. Wäre Zhang Yimous „Hero“ zu einer anderen Zeit entstanden, etwa während der 60er, wäre die Bezeichnung Propagandafilm allerdings mehr als angebracht gewesen – bis hin zu der Tatsache, dass er sich einer ganz spezifischen Ästhetik bedient, die dazu noch im ostasiatischen Kino auf eine lange Tradition zurückblickt. Das Erstaunliche daran bleibt, dass gerade Zhang Yimou über jeden Ideologieverdacht erhaben ist. Er gehört zu jenen chinesischen Regisseuren, die von ihrer Regierung immer misstrauisch beäugt wurden (sein Film „Heimweg“ setzte sogar die romantische Liebe, das Individuum also, gegen die Kulturrevolution, das große Ganze).

Mit seiner kruden Mischung aus Carl Schmitt’scher Omnipotenz und traditionsreicher Schwertkämpferphilosophie mutet „Hero“ dagegen vor allem deswegen so befremdlich an, weil der Film ein ganzes Genre, den Wuxia Pian, gegen sich selbst verkehrt. Das kantonesische Schwertkampfgenre ist seit jeher eine Lobpreisung des Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker. Mit seiner Auslegung eines alten Mythos um den ersten chinesischen Kaiser Shih Huang Ti, der um 220 vor unserer Zeitrechnung die sieben chinesischen Völker mit beispielloser Brutalität zu einem Reich vereinigte, unterzieht Zhang Yimou den Wuxia Pian nun einer Revision, ohne die schwerelose, märchenhafte Ästhetik des Genres im Geringsten zu brechen. Bedeutungsvoll hängt in „Hero“ das Schriftzeichen für „Schwert“ hinter dem Thron des „Qin“-Kaisers, des späteren Shih Huang Ti. Es ist eine Trophäe von Broken Arrow, einem Meister der Kalligraphie und des Schwertkampfes, das der „Namenlose“ (Jet Li) dem Kaiser von seiner Mission zurückgebracht hat. Diese hatte darin bestanden, die drei Attentäter Broken Sword (Tony Leung), Flying Snow (Maggie Cheung) und Sky (Donnie Yen) zu liquidieren. Die Erfüllung seiner Mission hat ihn nun bis auf zehn Meter an den blutrünstigen Monarchen herangebracht. Der „Namenlose“ soll dem Kaiser von seinem Triumph berichten. Aber auch er hat einen gefährlichen Plan im Hinterkopf.

19 Schriftzeichen, erzählt der „Namenlose“ dem Kaiser, existieren in der Region Zhao für das Wort „Schwert“, aber erst das zwanzigste hätte ihm das Geheimnis von Broken Arrows Schwertkunst offenbaren sollen. Ein weiteres Schriftzeichen erlangt im Film später ebenfalls zentrale Bedeutung, und ebendiese Bedeutung führt schließlich auch die fragwürdige Wandlung des Helden herbei: „Alle unter einem Himmel“ lautet seine Übersetzung, und in den Wüstensand wurde es gezeichnet von Broken Arrow – er hat in der Wüste seine späte Erleuchtung gefunden.

„Alle unter einem Himmel“ bedeutet in „Hero“ in etwa so viel wie „Heim ins Reich“: Es obliegt demjenigen, dessen Schwert am mächtigsten und dessen Armee am grausamsten ist, die Epoche der Kriege zu beenden und das Reich zu vereinen. Der Qin-Kaiser scheint diesem Profil zu entsprechen, weswegen er am Ende vom Schwert des letzten Attentäters verschont bleibt.

Das Verlangen nach einem starken Souverän hat schon in den Lehren Carl Schmitts seltsamste Blüten getragen. Ansätze von Schmitt lassen sich tatsächlich auch in „Hero“ wiederfinden. Die Bereitschaft zu Krieg und Vernichtung bildet das politische Selbstverständnis des Schmitt’schen Souveräns. Das „Monopol der politischen Entscheidung“, Schmitts Idealbild einer Regierungsform, kann auch in „Hero“ scheinbar erst durch die gewaltsame Vereinigung des Reiches wirksam werden. Bei Zhang Yimou heißt das: Die Ansprüche des Individuums müssen hinter die Anforderungen des Gemeinwohls zurücktreten.

Dies findet in der ostasiatischen Erzähltradition starken Anklang, und Zhang Yimou hat alles aufgeboten, seine Botschaft auch in einem traditionellen Sinne zu inszenieren. Imposante Landschafts- und Farbtableaus repräsentieren in „Hero“ verschiedene menschliche Gefühlszustände, an denen seine Helden zugunsten der großen Idee scheitern müssen. Sie bewegen sich durch die Lüfte; und es ist die Erhabenheit weiser Krieger, die sie selbst über die Wasseroberfläche gleiten lässt. Willenskraft und Geist, sagt der „Namenlose“, sind die Prinzipien, auf denen sowohl Kalligraphie als auch Schwertkunst beruhen.

Das ominöse zwanzigste Schriftzeichen für „Schwert“ trägt schließlich das höchste Ziel des Schwertkämpfers in seinen Strichen: Es ist die Entsagung des Schwerts in Hand und Herz, damit die Menschheit endlich ihren Frieden finde. Der Haken ist nur, dass Frieden in „Hero“ unwiderruflich Krieg bedeutet.

„Hero“. Regie: Zhang Yimou. Mit Jet Li, Maggie Cheung, Zhang Ziyi u. a. China/Hongkong 2002, 98 Min.