: Stolpe verwirrt mit Kombilöhnen Ost
Grüne: „Schnapsidee“. Wirtschaftsministerium: Geht gar nicht. Stolpe-Ministerium: Alles nicht so gemeint
BERLIN taz ■ Manfred Stolpe (SPD) hat der Regierungskoalition ein verspätetes Ei ins Nest gelegt. Gestern schlug der Aufbau-Ost- und Verkehrsminister vor, im Osten staatlich subventionierte Mindestlöhne einzuführen. Der Koalitionspartner ist nicht amüsiert: „Eine Schnapsidee“, sagte Peter Hettlich, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Ost der Grünen. „Mit uns ist das nicht zu machen“, betonte Werner Schulz, wirtschaftspolitischer Sprecher der Partei.
Die Diskussion um die Förderung Ostdeutschlands war angeheizt worden, als bekannt wurde, dass das Bundeswirtschaftsministerium eine Kommission zum Thema eingesetzt hatte. Deren Chef, Klaus von Dohnanyi (SPD), forderte niedrige Löhne für den Osten und Abstriche beim Arbeits-, Umwelt- und Genehmigungsrecht.
Stolpe sagte gestern im Handelsblatt, er befürworte niedrige Ostlöhne, zu denen der Staat dann Zuschüsse zahlen würde: „Das ist ein Gedanke, den man ernsthaft weiterverfolgen muss.“ Er forderte sogar, dass Wirtschaftsminister Wolfgang Clement diesen Punkt in ein neues Gesetz über so genannte Innovationsregionen aufnähme. Darin steht bisher nur, dass wirtschaftlich schwache Regionen Verwaltungsvorschriften außer Kraft setzen können. Zusammen mit der Bertelsmann Stiftung testet das Ministerium die gelockerten Vorschriften derzeit etwa in Schwerin und Bremen. Die Grünen hat Stolpe mit seinem Vorstoß überrascht. Deren Ostexperte Hettlich sagte der taz: „Ich habe einen guten Kontakt zu Stolpes Staatssekretären. Beide waren immer dagegen.“ In seine Verwunderung mischte sich auch Ärger: „Das lassen wir uns nicht länger gefallen“, sagte Hettlich. Es ginge nicht an, dass ständig unausgegorene Hilfsrezepte verbreitet würden. Er warnte: „Nach den Osterferien wird das zum Thema werden.“
Auch das Wirtschaftsministerium hatte mit Stolpes Vorstoß nicht gerechnet. „Das Gesetz über die Innovationsregionen ist doch ein völlig anderer Bereich“, wundert sich Sprecher Christoph Reichle. „Da geht es um Bürokratieabbau und nicht um Niedriglöhne. Ich wüsste nicht, wie das zusammengehen soll.“ Allerdings sei Clement im Urlaub und könne derzeit nichts sagen. Eine Gesetzesvorlage soll laut Wirtschaftsministerium erst gegen Ende des Jahres vorliegen.
Das Rätsel Stolpe versuchen aber nicht nur Grüne und Bundeswirtschaftsministerium zu lösen. Auch die ablehnende Haltung von SPD-Ministerpräsidenten im Osten ist seit dem Aufkommen der Diskussion bekannt. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Harald Ringsdorff lehnt die Schaffung einer Niedriglohnzone ab. Matthias Platzeck, Stolpes Nachfolger als Regierungschef in Brandenburg, forderte ein Ende der „wirren Diskussion um den Aufbau Ost.“ Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Klaus Brandner, war „überhaupt nicht erfreut über die Aussagen in der Zeitung“. Schließlich habe man im Osten faktisch schon einen Niedriglohnsektor. Er hoffe allerdings, das werde sich klären lassen, so Brandner weiter.
Auch Stolpes Staatssekretärin, Iris Gleicke, hatte vor einigen Tagen noch in der Schweriner Volkszeitung kritisiert, dass unberufene Experten die Ostförderung kaputt machen wollten. Gemeint hatte sie damit Klaus von Dohnanyi. Doch das Zitat klingt auch jetzt nicht unpassend.
Im Verkehrsministerium heißt es inzwischen, das Handelsblatt habe Stolpes Äußerungen unverhältnismäßig zugespitzt. „Herr Stolpe hat nie Niedriglöhne gefordert“, sagte Sprecher Felix Stenschke. „Er hat nur gesagt, dass er offen für Gespräche ist.“ DANIEL SCHULZ