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Archiv-Artikel

Die Stadt als Bücherregal

Bremens neuer Senatsbaudirektor über Radwege als „absolute Schwerpunkte“, den Stadtwerder-Masterplan, hoch aufstrebende Investoren und – unvermeidlich – den „Abriss einer hohen Straße“

INTERVIEW HENNING BLEYL

taz: Herr Höing, Sie sind seit elf Wochen im Amt. Haben Sie bereits Bekanntschaft mit dem Zustand der Bremer Radwege gemacht? Für jemand, der aus Münster kommt, könnte das ernüchternd sein.

Franz-Josef Höing, Senatsbaudirektor: Im Gegenteil. Bremen hat fast doppelt so viele Einwohner wie Münster und trotzdem eine gut ausgebaute und stark genutzte Fahrradinfrastruktur. Das man immer mehr tun kann ist klar – deshalb sind Erhalt und Ausbau der Fahrradwege auch spätestens seit Antritt der neuen Regierung absolute Schwerpunkte.

Inwiefern macht es sich ansonsten bemerkbar, wenn man unter einem grünen Bausenator arbeitet?

Zunächst mal kann ich sagen, dass ich sehr offen empfangen wurde und den Eindruck habe, dass hier richtig viele gute Leute arbeiten. Im Übrigen steht die Aufgabe, eine Großstadt nachhaltiger zu organisieren, inhaltlich schlichtweg an und ist unabhängig von parteipolitischen Prägungen.

Aber es ist ja ein Unterschied, ob man etwa die Forderung der Grünen, das Solar-Potenzial aller Bremer Dächer zu erfassen, als nette Oppositionsidee sehen kann oder als Konzept einer Regierungsfraktion.

Auf einer konzeptionellen Ebene ist man sich ziemlich schnell einig, aber angesichts der Flut von Einzelprojekten, Programmen und Personen, mit denen ich derzeit konfrontiert bin, kann ich da noch nichts Konkretes zu sagen. Für mich selber nehme ich im Übrigen in Anspruch, ziemlich ideologiefrei unterwegs zu sein.

Das ist in der Bremer Baupolitik nichts Selbstverständliches. Ein typisches Produkt sozialdemokratischer Philosophie – die der ausgleichenden Ungerechtigkeit – ist zum Beispiel der Bau des Oberneuländer Büroparks.

Ich habe bislang nicht den Eindruck, dass Bremen zu viele Gewerbegebiete hat.

Es könnte ja sinnvoll sein, die Gewerbeflächenausweisung stärker zu konzentrieren, etwa auf die Überseestadt.

Ich will nicht der Senatsbaudirektor sein, der allen Fesseln anlegt. Wohnquartiere lassen sich, obwohl auch dort vieles im Umbruch ist, genauer planen als Gewerbegebiete. Da benötigt man ein deutlich breiteres Flächenspektrum, es besteht durchaus die Gefahr, dass das „Korsett“ zu eng geschnürt ist. Allerdings bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir eine Debatte um die Arbeitsplätze der Zukunft führen müssen. Die Frage ist, wie sehen diese Orte aus, haben sie eine städtebauliche Qualität, sind sie auch architektonisch lohnenswert.

Diesbezüglich haben die bisherigen Anfänge der Überseestadt ja durchaus etwas zu bieten. Andererseits entsteht sie in einer historisch ungünstigen Epoche – in den Zeiten der rasant wachsenden Stadt wäre ein solches Areal ein Geschenk gewesen.

Ich finde es nicht schlimm, wenn sich die Überseestadt langsam entwickelt. Das ist sogar ganz gut, um zu vermeiden, dass sich dort nur die architektonische Mode einer bestimmten Periode breitmacht.

Aber einen bestimmten durchlaufenden Drive braucht die Entwicklung doch schon!

Wenn man jetzt durch die Überseestadt fährt, kann man natürlich denken: Da ist noch sehr viel freie Fläche übrig. Aber wir bemerken ein ungebremstes Interesse. Wir sind dabei, den Masterplan systematisch zu präzisieren, in den kommenden Monaten beschäftigen wir uns mit den konkreten Quartier-Milieus und der Frage, wo genau welche Mischung aus Gewerbe und Wohnen möglich ist.

Wobei das Wohnen nach wie vor nur als „Sonderform“ vorgesehen ist. Nicht nur wegen der eingeschränkten Lärm- und sonstigen Emissionsstandards, auch bezogen auf das vermutlich recht einheitliche Bevölkerungssegment der kinderlosen Gutverdiener.

Was die Infrastruktur für Familien angeht, kann man durchaus auf die in den benachbarten Stadtteilen vorhandenen Einrichtungen verweisen, etwa auf die Grundschule an der Nordstraße. Und falls tatsächlich andere Bedarfe entstehen, muss man eben weitersehen. Es wird im Übrigen viel zu wenig beachtet, was für ein wunderschöner Park in der Verlängerung des Europahafens entsteht – übrigens inklusive eines Spielplatzes. Ich finde es wirklich spektakulär, dass man sich darauf schon in einer sehr frühen Phase verständigt hat. Jetzt ist der renommierte Züricher Gartenarchitekt Günther Vogt mit der Realisierung befasst.

Und wann wird der Großmarkt abgerissen?

Das ist kein Thema. Er wurde ja erst kürzlich gebaut und ich bin nicht der Meinung, dass er der berüchtigte „Pfropf“ mitten im Gelände wäre, der die Entwicklung des Areals hemmt.

Mit einem Hochstraßen-Abriss hingegen wollte sich schon mancher Bremer Baupolitiker ein Denkmal setzen. Aber muss das Ding wirklich weg?

Die Hochstraße ist seit meinem ersten Amtstag Thema – verknüpft mit der Frage, wann der Bremer Autobahnring geschlossen wird. In der Tat muss die Kontur der Bahnhofsvorstadt entwickelt werden, aber das ist nicht notwendig mit dem Abriss einer hohen Straße verbunden. Zunächst geht es darum, wie der Bahnhofsvorplatz als Visitenkarte der Stadt gestaltet wird – dessen stadträumliche Anpassung spielt eine entscheidende Rolle.

Trotzdem wurde auf die Auslobung eines freien Wettbewerbs zur Bebauung verzichtet.

Die Stadt hat sich für ein mehrstufiges VOB-Verfahren entschieden [Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, die Red.], was ich sehr plausibel finde. In den kommenden Monaten wird es auch Ergebnisse geben. Aber derzeit sind wir in einer sensiblen Verhandlungsphase, so dass ich dazu nichts weiter sagen kann.

Gilt das auch für die Weserspitze? Das ist ebenfalls ein äußerst markanter Bauplatz, für den schon länger konkrete Vorhaben angekündigt sind.

Das ist bekanntlich kein einfaches Grundstück, weil es mitten im Wasser liegt beziehungsweise aus Wasser besteht.

„Spätestens Anfang 2008“ sollten die Gründungsarbeiten beginnen. Wie finden Sie die seinerzeit von Ihrem Vorgänger präsentierte Planung?

Das ist eine Architektur für den zweiten oder dritten Blick, ich finde den Entwurf des Schweizer Architektenbüros Meili&Peter sehr feinsinnig. Jetzt müssen wir uns allerdings mit der Größenordnung auseinandersetzen.

Das Übliche? Der Investor will höher bauen, als ursprünglich geplant und bekannt gegeben?

Es geht um die Maßstäblichkeit im Kontext der nachbarschaftlichen Bebauung. Das Projekt hat große Bedeutung, es ist einer der „Zehn Flusspunkte“ meines Vorgängers. Wir wollen die Weser noch stärker als Rückgrat der Stadtentwicklung in den Blick nehmen.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Bebauung des Stadtwerder: Ist mit dem bereits verplanten Areal die Grenze erreicht?

Das bislang Geplante ist in Größe und Qualität anspruchsvoll, in den kommenden Jahren sollen Schritt für Schritt etwa 350 Wohneinheiten entstehen – das ist ein richtiges neues Quartier mitten in der Stadt.

Die Halbinsel weckt noch weitergehende Begehrlichkeiten: Die Bremer „Aufbaugemeinschaft“, der prominente Vertreter der hiesigen Baubranche angehören, promotet die Idee einer „Grachtenstadt“ auf dem Stadtwerder.

Wenn es dort ein Problem gibt, dann besteht es aus meiner Sicht nicht darin, dass es dort zu wenig Wasser gibt. Wir erarbeiten derzeit einen „Masterplan Stadtwerder“, in dessen Rahmen nicht nur eine Vorstellung von Wohnen Platz hat. Das geht vom frei stehenden, etwas voluminöseren Haus bis zum Geschosswohnungsbau, sowohl mit Miet- als auch Eigentumappartements. Beim Städtebau ist es ja wie mit Bücherregalen: Man plant für Dinge, die man erst übermorgen kauft, weiß also noch nicht, ob es eher Comics oder Folianten sind.

Aber man könnte schon mal festlegen, dass man der Naherholung beziehungsweise den KleingärtnerInnen nicht zu viel Fläche raubt.

Der Masterplan sieht keine darüber hinausgehende Ausweitung der Bebauung vor. Was wir auch bereits festgelegt haben, sind die Traufhöhen: Maximal fünf, meistens drei Geschosse. Es soll ein städtisches Quartier mit Spielflächen werden, keine klassische Siedlung. Für Einzelhandel und anderes Gewerbe gibt es auf dem Stadtwerder keine Pläne.

Wie sind ansonsten Ihre wohnbaupolitischen Vorstellungen?

Das ursprüngliche Versprechen, dass Mobilität im Prinzip nichts kostet, hat sich bekanntlich nicht bewahrheitet – auch deswegen geht der Trend zurück in die Stadt. Dort geht es um die Ertüchtigung der Bestände, aber auch um die Entwicklung von neuen Formen des Zusammenlebens. Anders als in den 60er Jahren sind wir uns heute darüber im Klaren, dass man künftige Bedarfe weder exakt benennen noch den Anspruch verfolgen kann, alles zu planen. Häuser sind lediglich Hüllen.

Fotohinweis:FRANZ-JOSEF HÖING, 43, war Vermessungstechniker, studierte Raumplanung in Dortmund, arbeitete im Büro des Hamburger Oberbaudirektors und zuletzt als Professor der „School of Architecture“ in Münster.