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Archiv-Artikel

Schröder findet Geiz nicht mehr geil

Bundeskanzler Schröder stellt seinen Finanzminister und Sparhans Hans Eichel bloß: Schluss mit Sparen! Jetzt müssen Wachstumsimpulse gesetzt werden. Als Erstes fällt der Anspruch, im Jahr 2004 das Defizitkriterium Europas einzuhalten

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER und FELIX SERRAO

Der Bundeskanzler hat gestern eine grundsätzliche Wende der rot-grünen Finanzpolitik eingeleitet. Gerhard Schröder sagte in Berlin, man müsse „nicht unter allen Umständen das Defizitkriterium erreichen“. Damit hat sich der Regierungschef offiziell davon verabschiedet, das so genannte Maastricht-Kriterium einer Neuverschuldungsobergrenze von 3 Prozent einzuhalten.

Schröder sagte, eine Regierung dürfe sich in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit nicht prozyklisch verhalten. In einer konjunkturellen Schwächephase müssten auch Wachstumsimpulse gesetzt werden. Deren Notwendigkeit werde in den Haushaltsberatungen berücksichtigt. „Was dies im Einzelnen heißt, wird sich zeigen“, sagte Schröder. Gemeint sein könnten Konjunkturprogramme, wie sie zuletzt der DGB gefordert hatte.

Der Bundeskanzler bestätigte gestern eine insgesamt neue Linie, die er bereits am Vorabend angedeutet hatte (siehe Kasten). Bislang galt es als Markenzeichen der rot-grünen Regierung und ihres Finanzministers Hans Eichel, den Zuwachs der enormen Staatsverschuldung eng zu begrenzen. 2006 sollte es einen ausgeglichenen Haushalt geben, sprich: die Regierung wollte gänzlich ohne neue Kredite alle ihre Ausgaben bestreiten. Seit den SPD-Regierungen der 70er-Jahre und vor allem nach der Wiedervereinigung war Verschuldung übliches Mittel der Haushaltspolitik geworden.

Regierungssprecher Hans Langguth hielt sich zurück, einen kompletten Kurswechsel in der rot-grünen Finanzpolitik zu verkünden. „Alle Rahmendaten werden für den Prozess der Haushaltsaufstellung als gültig angenommen“, orakelte er. Zu diesem Rahmen gehörten sowohl die Defizikriterien der EU als auch Eichels Plan, für den Haushalt 2004 rund 15 Milliarden Euro bei den Einzeletats der Bundesministerien einzusparen. Der Konsolidierungskurs dürfe nicht aufgegeben werden, sagte auch Bundeskanzler Schröder. Zum Fahrplan für den Etat 2004 gehört publikumswirksam eine mehrtägige Sparklausur der rot-grünen Minister.

Schätzungen gehen davon aus, dass Eichel die Ausgaben um bis zu 18 Milliarden Euro kürzen muss. Nur wie? Nachdem sich der Kanzler offen für eine antizyklische, sprich: keynesianische Wirtschaftspolitik ausgesprochen hat, stehen alle Zeichen auf Geldausgeben.

In den anstehenden Verhandlungen mit den einzelnen Ministerien hat Eichel dadurch keinen günstigen Stand. Wie soll er seine Kabinettskollegen zur Bescheidenheit überreden, wenn der Kanzler eine Lockerung des Sparkurses andeutet?

Ein erster Test steht am morgigen Freitag an. Finanzminister kontra Wirtschaftsminister. Hans Eichel und Wolfgang Clement (SPD) verhandeln über den Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit. Eichel will 2004 weniger Geld nach Nürnberg überweisen. In diesem Jahr sind zwischen 7 und 8 Millarden Euro veranschlagt.

Fraglich ist, ob Clement dem zustimmen wird. Denn die Arbeitslosigkeit steigt weiter an. Ende 2003 könnten 5 Millionen Menschen ohne Job sein.

Damit ist die Gefahr eines verfassungswidrigen Bundeshaushalts 2004 für Hans Eichel nicht kleiner geworden. Zwar braucht er die Defizitgrenze der EU nicht mehr ernst zu nehmen. Allerdings enthält auch das Grundgesetz eine Automatik, um die Neuverschuldung zu begrenzen: Sie muss niedriger ausfallen als die Höhe der Investitionen. Gegenwärtig rechnet Eichel noch mit rund 26 Milliarden Euro an Investitionen und maximal 23 Milliarden an Schulden.