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Archiv-Artikel

Rückzug verschärft die Isolation

Das Kölner Lebensberatungszentrum Rubicon betreut ältere Schwule und Lesben, die mit dem Jugendkult der Szene wenig am Hut haben. Auch bietet es Raum für Initiativen

KÖLN taz ■ Von „Rubicon“ hat Stefan Müller* noch nie gehört. „Interessiert mich auch nicht“, erklärt der 45-jährige Kölner und betont: „Mit der Szene hatte ich nie viel zu tun.“ Er mag das „Gehabe“ vieler Schwuler in den einschlägigen Treffs nicht. Es sei auch nicht einfach, dort Kontakt zu finden. „Ich bin eben kein typischer Schwuler.“

Dabei ist das Verhalten von M. doch ziemlich „typisch“: 42 Prozent der über 45-Jährigen besuchen die Szene gar nicht oder nur gelegentlich, zeigt eine Studie aus dem Jahre 1997. „Viele haben das Gefühl: Mit über 40 hast du dort nichts mehr zu suchen. Mit zunehmendem Alter ziehen sie sich immer mehr ins Privatleben zurück“, erklärt Stefan Jüngst vom Beratungszentrum Rubicon in der Kölner Rubensstraße. Hier koordiniert der Psychologe die Seniorenarbeit des seit 25 Jahren bestehenden Sozialwerks für Lesben und Schwule, das Träger der Beratungsstelle ist.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2002 wirft ein trübes Licht auf die Situation älterer Homosexueller: „Rund 50 Prozent der über 55-Jährigen leben sehr isoliert und leiden unter der Einsamkeit“, sagt Stefan Jüngst. „Gerade die Älteren sind noch traumatisiert von der Zeit vor 1969, als Homosexualität verboten war und strafrechtlich verfolgt werden konnte. Damals drohten Zwangstherapien und Gefängnisstrafen. Die Angst davor wirkt bei vielen bis heute nach.“

Das gesellschaftliche Klima sei zwar viel liberaler geworden, so Jüngst, in der Öffentlichkeit dominiere allerdings „das Klischee vom wohlhabenden, erfolgreichen Schwulen aus der Künstlerszene“, das einzelne prominente Homosexuelle verkörpern. Hinzu kommt der ausgeprägte Jugendkult der Szene. Stefan Meschig, Leiter von Rubicon, sagt: „Rund die Hälfte der Probleme von Schwulen haben mit Diskriminierungen im Alltag zu tun. Die andere Hälfte betrifft das Leiden an der eigenen Kultur.“

Der Jugendkult sei bei Lesben nicht so ein Thema, glaubt der Sozialpädagoge. „Meine These: Es fehlen soziale Rollenmodelle für ältere Schwule. Während Heteromänner sich als Familienväter erleben, erfahren Schwule die mittleren Jahre nicht als sozial produktive Phase.“ Stefan Jüngst verweist auf Studien, die schon bei homosexuellen Jugendlichen deutlich mehr Depressionen und Selbstmorde nachweisen als bei heterosexuellen Gleichaltrigen. „Ich glaube, dass bei den älteren Schwulen die Probleme viel gravierender sind“, so Jüngst. „Hier gibt es einen riesigen Beratungsbedarf, wenn man bedenkt, dass etwa zehn Prozent der Kölner Bevölkerung Lesben oder Schwule sind.“

Als Lebensberatungsstelle bietet Rubicon auch Raum für schwule und lesbische Initiativgruppen und Diskussionsforen. Neuestes Projekt ist der „ALTERnative Besuchsdienst“ für ältere Schwule. „Viele müssen im Alter ohne Familie und ohne Partner klarkommen“, sagt Jüngst. „Ihre Isolation verschärft sich durch gesundheitliche Einschränkungen.“ Ute Krietenstein

*Name geändert

Rubicon, Rubensstr. 8-10, Tel. 0221 / 19 446; www.rubicon-koeln.de