: Legenden sind besser
Eine Hommage an die Musikstadt Manchester und an Tony Wilson, den Gründer der Plattenfirma Factory: Michael Winterbottoms lakonischer Film „24 Hour Party People“
Der unschätzbare Vorteil, einer wie auch immer definierten Postbewegung anzugehören, liegt unter anderem darin, sich der eigenen Lebens- und Verwertungszusammenhänge bereits vollkommen bewusst zu sein. „Ach, diese Szene hat es übrigens nicht in die Endfassung geschafft“, erzählt Postpunkpapst Tony Wilson in Michael Winterbottoms „Madchester“-Kolportage „24 Hour Party People“ mit Blick in die Kamera, „aber ich bin mir sicher, ihr werdet sie auf der DVD finden.“ Und, mal ehrlich, die schönste Form der Mythenbildung ist doch die aus dem Mund eines aufgeblasenen, kleinen Arschlochs. So wie Tony Wilson eines war. Er, Wilson, Frontreporter von Manchesters lokalem TV-Sender Grenada und eines der zwei „genuinen Genies“ (Wilson über Wilson) in Winterbottoms Musik-Biopic (das andere Genie, der Starproduzent Martin Hennett, wird später aus Verfettungsgründen nicht in sein Grab passen: zu groß für den Tod), sei 1976 zusammen mit einer Hand voll Eingeweihter Zeuge einer der großen Initiationsmomente der Rockmusik gewesen: dem ersten Konzert der Sex Pistols in Manchester.
Michael Winterbottom lässt Wilson-Darsteller Steven Coogan für diese Sternstunde mal kurz vor einer körnigen Projektion jenes Pistols-Konzert herumpogen. „Ein historisches Ereignis“, erzählt Wilson seinem Boss später. „Historisches Ereignis?“, hakt der nach, „ich dachte, es waren nur dreißig Leute da.“ Wilson noch mal: „Und was soll das heißen? Wie viele waren gleich beim Letzten Abendmahl anwesend?“ Wo Geschichte gemacht wird, entscheidet immer noch ein Einziger. Das war die Erfolgsgeschichte von Factory Records, dem besten englischen Label der Achtzigerjahre.
Als treuer Fan von Joy Division, A Certain Ratio und New Order, all den Bands, die Wilson entdeckte und auf Factory veröffentlichte, mag man mit Winterbottoms Film so seine Probleme haben. Um den Aufstieg der grauen Industriestadt Manchester zur schillernden Rave-Metropole Madchester, der gleichzeitig den Übergang von der düsteren Verstimmtheit des Punk zu den Ecstasy-grinsenden Neunzigern markierte, geht es in „24 Hour Party People“ auch. Zuallererst aber handelt der Film von Tony Wilson, der es, wenn es um Lebensbeichten geht, eher mit dem späten John Ford hielt: „Wenn du zwischen der Wahrheit und der Legende wählen kannst, entscheide dich immer für die Legende.“
Ganz in diesem Sinne kommt „24 Hour Party People“ nur einmal kurz mit dem Selbstmord von Joy-Division-Sänger Ian Curtis zur Ruhe. Kurz nach Curtis’ Tod eröffnete Wilson den Nachtclub Hacienda und definierte damit den Begriff „Exzess“ neu. Wilsons ungebrochener Narzissmus, glänzend verkörpert von TV-Komiker Coogan, verleiht Winterbottoms Film gerade in seinen albernsten Momenten eine lakonische Penetranz. Als auktorialer Erzähler seiner eigenen Legende klugscheißt Wilson sich durch einen Katalog literarischer Zitate, zerrt den originalen Klomann der alten Hacienda vor die Kamera und sieht am Ende sein eigenes Ich vom Himmel herabsteigen. „Die Musik ist gut geraten“, verkündet sein Alter Ego, „weil man zu ihr gut chillen kann.“ ANDREAS BUSCHE
„24 Hour Party People“. Regie: Michael Winterbottom. Mit Steve Coogan, Lennie James u. a. GB 2003, 107 Minuten. Termine s. Programm