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Archiv-Artikel

Ist doch alles vergeblich

Bei den Zonis ist die Sonderwirtschaftszone Ost kein Thema. Die Hierbleiber haben sich mit der Zweitklassigkeit arrangiert. Irgendwann kommt der Aufschwung schon – vielleicht in 50 Jahren

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Die Frühstücksbrötchen schmecken nach wie vor. Das Dach ist dicht über der gerade noch bezahlbaren Dreizimmerwohnung und der Gebrauchtwagen etwas schneller, geräumiger und zuverlässiger als der Trabi. Wer nicht auf den Vorstandsposten eines Großkonzerns spekuliert und um jeden Preis eine Millionärskarriere anstrebt, hat sich mit den Verhältnissen arrangiert. Wie damals. Weiter geht es eben nicht. Zone bleibt Zone.

Den Bürger MeyerLehmannSchulze hat die neue Diskussion um Sonderwirtschaftszonen jedenfalls nicht entflammt. Ist doch alles alt und vergeblich. Warum der Aufbau Ost gerade ein paar Tage vor Ostern 2004 gescheitert sein soll, versteht niemand. Außer einigen Parteipropagandisten haben doch alle die Hoffnung auf die so genannte Angleichung der Lebensverhältnisse längst verloren. Das weiß man auch ohne die mehr oder weniger ehrlichen Analysen der Wirtschafts-Expertokratie.

Ist vielleicht auch gar nicht so schlecht. Man hat noch etwas vor sich, irgendwann das Wirtschaftswunder Ost in fünfzig Jahren, und man hat immer etwas zu klagen. Friseurgespräche laufen immer noch so ab wie damals bei Kleinekorte im Eulenspiegel. Vielleicht sind wir wie seinerzeit im erzwungenen Verzicht doch so etwas wie die besseren Menschen mit unseren alternativen Fähigkeiten? Die spontanen Hausgemeinschaftsfeste, die Kaffeestunde auf Arbeit, das Dutzend Helfer beim Umzug … Das wohl eher nicht. Wolfgang Engler hofft vergeblich auf den neuen homo orientis.

Nicht von ungefähr sind die Wölfe in die Lausitz zurückgekehrt. Beißen hat auch Ossi gelernt – wenn es sein muss, auch den Nachbarn. Beißen und durchbeißen. Das Verhaltensmuster ist vertraut, vielleicht sogar angeboren. Die Verbissenheit der ersten Beitrittsjahre weicht schon wieder dem Fatalismus, der Bescheidenheit. Immerhin auf Aldi- und Ikea-Niveau. Wer es böser formulieren will, spricht von Resignation. Der Sinn der neuen Bescheidenheit ist noch nicht erkannt im Reich der omnipräsenten Haben-Ideologie.

Wie damals bleibt auch der Ausweg für den, der meint, es nicht mehr aushalten zu können: abhauen! Mit dem wichtigen Unterschied, dass „Republikflucht“ nach Westen nicht nur wesentlich einfacher, sondern in vielen Fällen geradezu existenznotwendig geworden ist. „Die Tiere zieht es auch zur Wasserstelle“, verglich einmal ein junger Sorbe, den es zur Ausbildung nach Schwaben verschlagen hatte. Nicht geistig-sinnstiftend, wohl aber materiell bleibt der Westen das Gelobte Land. „Der doofe Rest“ zu sein, so eine gängige Interpretation des „DDR“-Kürzels, schmeichelt keinem. Aber verordnete Zweitklassigkeit kann vielleicht entkrampfen. Notorische Hierbleiber wissen, dass sie genauso gut sind wie die Konkurrenz, nur schlechter honoriert. Da allerdings verlässt den Zoni manchmal noch die Bescheidenheit. Jeder weiß, dass wir auch ohne Sonderzonen-Etikett längst zum Experimentierfeld für Lohndumping und Erosion von Arbeitnehmerrechten erpresst worden sind. Aber Schmerzgrenzen verschiebt man nur langsam. Deshalb ist die rot-grüne Strafexpedition gegen Arbeitslose in Ostdeutschland besonders übel angekommen. Deshalb findet man sich mit der Verschärfung des Krankheitswesens nur schwer ab. Diese sehr existenziellen, praktischen und alltäglichen Fragen sind in den letzten beiden Jahren in der Tat zum Thema Nummer 1 avanciert, ohne dass die überlagernde Ost-Problematik dabei gleich erkannt würde. Nicht einmal die PDS weiß von einem Aufstand der Hereros in der Ost-Kolonie. Ihrer Hauptklientel, den Rentnern, geht es ja überwiegend leidlich.

Das Volk murrt über die Praxisgebühr, empört sich vielleicht sogar über Kulturkürzungen. Auf die Idee, dass sogar der mäßige erarbeitete oder transferierte Wohlstand auf der Kippe stehen könnte, kommen die wenigsten. Wenn, dann hat die EU-Erweiterung unter Klein- und Mittelständlern für Unruhe gesorgt. Im Bewusstsein der meisten sind die ernüchternden Perspektiven aber noch nicht angekommen. Im Bildungsbürgertum und bei angehenden Akademikern landen Privatgespräche schnell bei weiter gehenden Fragen nach der Globalisierung oder dem Schicksal der Demokratie. Stimmen wie die einer Schülersprecherin sind selten: „Die Aussichten machen mir Angst!“ Wer weiß schon, dass mit der beginnenden Degression der Solidarpaktzuschüsse schon in zwei Jahren den öffentlichen Kassen weitere Einschnitte drohen?

Das gegenwärtige Getöse der Großkopferten um die Ostförderung geht jedenfalls im allgemeinen Misstrauen gegenüber den Politikpropheten unter.