: Sprachtrampel gibt es überall
betr.: „Sprachtrampel im Haus des Seins“, taz vom 31. 3. 04
Aus Jochen Schmidts Artikel spricht die unerträgliche, korinthenkackerische Arroganz eines besserwisserischen Oberlehrers. Das Schlimmste ist dabei, dass die Argumente und Beispiele den Punkt nicht treffen und sehr Verschiedenes in einen Topf werfen.
Herr Schmidt übersieht zum einen, dass es seit der Wiedervereinigung auch so etwas wie eine gemeinsame Sprachentwicklung von Ostlern und Westlern gegeben hat. Anders gesagt: bestimmte von Schmidt zitierte Ausdrücke – bei denen es sich doch in der Mehrheit um Modewörter handelt, durch die sich eine bestimmte Gruppe vom großen Rest abzusetzen sucht – wurden auch im Westen noch nicht oder nicht lange vor 1989 benutzt. An der Kreation von Wörtern wie „Laden“ oder „location“ sind also vielleicht Wessis wie Ossis „schuld“? Wenn man Herrn Schmidt so liest, könnte man außerdem glauben, dass ausnahmslos alle „Wessis“ permanent von „Flugis“ und „Demos“ reden. Ich weiß, dass meine Oma das nicht tut. Und viele andere auch nicht.
Was ein Flugi ist, das wissen doch nur ganz bestimmte Leute und, zugegeben, es ist ein blödes Wort, das man aber nicht benutzen muss. Es steht auch nicht jeden Tag in jeder Zeitung. Ich fühle mich dadurch nicht belästigt. Anders gelagert ist Schmidts arrogant-höhnisches Mit-dem-Finger-zeigen auf Leute die „Samstag“ sagen. (Pfui, pfui, sogar die im Fernsehen!) Nicht einmal der Duden behauptet, dass Samstag „dialektal“ sei (womit Herr Schmidt wohl meinte: niederer, umgangssprachlicher Gebrauch). Samstag kommt vom althochdeutschen „Sabbattag“, während der Sonnabend der Tag vor dem christlichen Sonntag ist. Was ist daran dialektal? Vielleicht gibt es regionale Vorlieben: im Osten und Norden wird der Sonnabend, im Süden und Westen der Samstag bevorzugt? Mehr wert ist weder das eine noch das andere. Der Samstag hat nur den unschlagbaren Vorteil, wenn nötig mit Sa. abgekürzt werden zu können, während der Sonnabend in dieser Hinsicht doch heftig mit dem Sonntag kollidiert …
Insgesamt erweckt der Sprachpurist Schmidt durch sein Lamento den Eindruck, dass in der DDR alle Menschen wunderschönes Hochdeutsch gesprochen und geschrieben haben, und nur durch den Einbruch des sprach-schlampigen Westens geht jetzt die ganze Sprachkultur vor die Hunde (und bestellt Wasser anstatt Selters). Dass ich nicht lache!
Bei uns hielt der Zug zum Beispiel noch nie in „Pankoff“, dafür verkauft man im Brandenburgischen schon mal „Espressow“. In weiten Teilen Thüringens und Sachsen-Anhalts sagen die Leute grammatikalisch sehr unschön „wo“ anstatt „als … ich neulich im Kino war“. Und das tun sie sicher nicht erst seit 1989. Der so genannte sächsische Genitiv (Mandy’s Salon) und Plural ( „Altstadthotel’s“) ist inzwischen ausreichend dokumentiert, doch sind am inflationären und falschen Gebrauch des Apostrophs wahrscheinlich ebenfalls die Wessis schuld? Aber wenn unsere Ost-Sekretärin mich warnt, ihr nicht zu nahe zu kommen, weil sie „den Rotz“ hat, dann wird mir endgültig schlecht. Fazit: Sprachtrampel gibt es überall! Warum auch nicht. ALEXANDRA KÖNIG, Berlin-Pankow