Der Troll in der Talkshow

Wie sich einmal drei Wandergesellen aus einer höchst gefährlichen Lage retteten

Sein breites Maul starrte vor messerscharfen Zähnen, seine kleinen roten Augen funkelten

Ein Schneider, ein Fagottist und ein Diplomsoziologe wanderten einmal frohgemut durch einen großen, finsteren Wald. Die drei hatten seit gemeinsamen Grundschultagen mehr als einmal fünfe gerade sein lassen; mittlerweile aber waren sie allesamt Familienväter in einem Alter, das man vormals, als das Wünschen noch geholfen hat, die besten Mannesjahre zu nennen pflegte, heute hingegen als die Periode der ersten Midlifecrisis zu bezeichnen gewöhnt ist. Ihre Rucksäcke enthielten reichlich Mineralwasser und Müsliriegel, ihre Kondition war gut, und also schritten sie zügig fürbass und plauderten dabei angeregt über die Börsenkurse, die Bundesliga und die Bordelle von Bangkok.

Was die drei rüstigen Wandergesellen freilich nicht ahnten, war, dass tief im Innern des Waldes ein sackgemeiner Troll hauste, ein wahrhafter Unsympath und Schlagetot, der sich von Menschenfleisch nährte. Im Buschwerk verborgen lauerte der Unhold auf seine unwissenden Opfer; sein breites Maul starrte vor messerscharfen Zähnen, und seine kleinen roten Augen funkelten heimtückisch. Im Profil erinnerte er seltsamerweise ein wenig an den verstorbenen Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch.

Unsere drei arglosen Wanderburschen nun trabten munter durchs Dickicht, und eben erzählte der Schneider eine recht verruchte Geschichte aus Bangkok …, da machte es auf einmal laut Knacks! und Perdauz!, der Boden gab unter ihnen nach, und ehe sie sich’s versahen, lagen sie alle drei in einer der Fallgruben, die der listige Troll wohlweislich auf verschiedenen Waldwegen angelegt und geschickt mit Reisig getarnt hatte.

Tja, da war nun guter Rat teuer und ihre Lage ziemlich prekär, denn die Wände ihres Verlieses waren hoch und steil – den drei gefangenen Wandervögeln ward ganz schön blümerant zumute. Wer schildert aber ihr Entsetzen, als bald darauf die grobe Fratze des Trolls am Grubenrand erschien und hämisch grinsend zu ihnen hinunteräugte? Die drei kriegten das große Heulen und Fracksausen, und jeder von ihnen wäre nur gar zu gern daheim bei seinem lieben Weibe und den Kindern gewesen und hätte auch wohl geschworen, niemals wieder nach Bangkok zu fliegen, wenn’s nur geholfen hätte.

Der Troll aber zog die drei herauf und schnürte sie sogleich mit einem Strick zusammen, dann führte er sie zufrieden grunzend in seine nahe Höhle. Dort angekommen, entzündete er ein Feuer im Herd, holte ein ellenlanges Schlachtermesser hervor und begann, dessen Klinge an einem mächtigen Schleifstein zu schärfen. Als dies die Wanderer sahen, huben sie an, ganz erbärmlich zu jammern und zu schreien, und sie boten dem Troll nacheinander nicht nur Silber und Gold, sondern auch ihre Reihenhäuser, Autos und Ehefrauen an, wenn er sie nur verschone; aber der Waldgeist kümmerte sich gar nicht darum und fuhr fort, sein gräuliches Mordwerkzeug zu präparieren.

Endlich prüfte er die Schneide des Messers sorgsam mit seinem klobigen Daumen und nickte bedächtig; hierauf näherte er sich schlurfend den gefesselten Gesellen. Jählings packte er nun den Diplomsoziologen am Kragen und hob den Dolch, um ihm den Garaus zu machen. Da rief der arme Mann in seiner Not, sein jüngster Sohn gehe in eine Schulklasse mit der Nichte von Jörg Pilawa, und wenn der Troll ihn und seine Kumpane laufen lasse, könne er, der Soziologe, ihm zu einem Auftritt in der bundesweit bekannten „NDR-Talkshow“ verhelfen, die ja von Herrn Pilawa moderiert werde. Kaum hatte er das gesagt, ertönte ein lautes Scheppern, das rührte daher, dass der Unhold sein Messer hatte fallen lassen, und daraufhin herrschte einen Augenblick lang atemlose Stille. Dann sprach der Troll mit dumpfer Stimme: „Stimmt das wirklich, oder willst du mich jetzt verarschen?“

Ja, und so kam es, dass der Schneider, der Fagottist und der Diplomsoziologe nicht geschlachtet noch gefressen wurden und wohlbehalten in ihre Reihenhäuser zurückkehren konnten. Der Troll aber erhielt einige Wochen später tatsächlich eine Einladung zur „NDR-Talkshow“, denn Jörg Pilawa hatte ein Einsehen gehabt, und schließlich, einen waschechten Waldgeist in einer Live-Sendung, das gibt es ja auch nicht alle Tage. Und da mag man sagen, was man will, das Fernsehen sei oft recht albern und einfältig, aber manchmal kann es eben auch Leben retten.

Und so saß der Troll denn eines Freitagabends geschniegelt und geschminkt im heißen Scheinwerferlicht eines Fernsehstudios in Hamburg-Lokstedt, wo die „NDR-Talkshow“ produziert wird. Man hatte ihn zwischen dem Fußballtorwart Oliver Kahn und dem Modezaren Karl Lagerfeld platziert, und er nestelte nervös an seiner nagelneuen Krawatte herum und schwitzte und hatte Lampenfieber wie alle anderen auch.

Und als er schließlich an die Reihe kam, lautete Jörg Pilawas erste Frage: „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie Willy Millowitsch?“CHRISTIAN MAINTZ