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Archiv-Artikel

UN-Tribunal schürt Krieg in Liberia

Zum Beginn erster direkter Friedensgespräche zwischen Regierung und Rebellen in Liberia erlässt das UN-Sondergericht für Sierra Leone Haftbefehl gegen Liberias Präsident. Der verlässt daraufhin die Gespräche. Frieden wird unwahrscheinlicher

von DOMINIC JOHNSON

Das UN-Sondergericht für Sierra Leone hat den Beginn eines Friedensprozesses für das benachbarte Liberia torpediert. Es veröffentlichte einen internationalen Haftbefehl gegen den liberianischen Präsidenten Charles Taylor pünktlich zum Beginn der ersten Friedensgespräche zwischen Liberias Regierung und Rebellen in Ghana am Mittwoch. Statt ihn zu verhaften, setzte Ghanas Regierung Taylor in ein Flugzeug und ließ ihn in seine Hauptstadt Monrovia zurückkehren. Dort setzte eine Massenflucht panischer Einwohner ein, die nun mit einem Scheitern der Friedensgespräche rechnen. Das Tribunal kritisierte, Ghana hätte Taylor nicht ausreisen lassen dürfen.

Der Sondergerichtshof organisiert in Sierra Leone Prozesse gegen führende Kriegsverbrecher des Bürgerkrieges von 1991–2001. Taylor ist sein zehnter Angeklagter. Ihm wird Unterstützung der sierraleonischen Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) zum Vorwurf gemacht – seit Mai 2001 ist Taylors Regierung deswegen bereits mit UN-Sanktionen belegt. RUF-Führer Foday Sankoh ist derzeit der prominenteste Häftling des Tribunals, das hauptsächlich von den USA finanziert wird.

Als Destabilisierer Westafrikas verschrien, wird Taylor seinerseits seit mehreren Jahren von Rebellen bedrängt, die von den Regierungen Guineas und der Elfenbeinküste unterstützt werden. Die „Vereinigten Liberianer für Versöhnung und Demokratie“ (Lurd) operieren seit 1999 aus Guinea heraus und kontrollieren heute große Teile des Nordens von Liberia; im Osten des Landes an der Grenze zur Elfenbeinküste ist seit einem halben Jahr die Lurd-Abspaltung Model (Bewegung für Demokratie in Liberia) aktiv. Beide Gruppen zusammen kontrollieren über die Hälfte des Landes. Sie rücken derzeit auf Buchanan vor.

Die jüngsten Vorstöße der Rebellen gehen einher mit massiven Fluchtbewegungen in der Zivilbevölkerung und steigendem diplomatischen Druck auf Taylor. Zwar haben die UN-Experten, die die Einhaltung der Liberia-Sanktionen überwachen, ebenso wie andere unabhängige Beobachter darauf hingewiesen, dass die Instabilität in Westafrika nicht nur von Liberia ausgeht. Dennoch verlängerte der UN-Sicherheitsrat am 7. Mai die Sanktionen gegen Liberia, und ab 7. Juli soll auch Liberias wichtigstes Exportprodukt Tropenholz nicht mehr exportiert werden dürfen.

Die Friedensgespräche in Ghana, die am Mittwoch offiziell in der Hauptstadt Accra eröffnet wurden und später in der Stadt Akosombo weitergehen sollen, gehen auf die Bildung einer „Internationalen Liberia-Kontaktgruppe“ durch den UN-Sicherheitsrat im vergangenen Herbst zurück. Als Vermittler fungiert Abdulsalami Abubakar, 1998–99 letzter Militärherrscher von Nigeria. Im Gespräch ist die Vereinbarung eines Waffenstillstands, der von robusten internationalen Friedenstruppen überwacht werden müsste, rechtzeitig vor Liberias nächster Präsidentschaftswahl. Die ist derzeit für Oktober angesetzt, aber dieser Termin gilt als unrealistisch angesichts des Krieges. So wird erwogen, die Wahlen zu verschieben und vorher eine Regierung der nationalen Einheit aus allen Kriegsparteien einzusetzen.

Strittig ist, ob Taylor dabei Präsident bleiben soll oder nicht. Die Rebellen und zahlreiche Oppositionelle lehnen das ab; Taylor will im Amt bleiben und verspricht dafür, bei der Wahl nicht mehr anzutreten. Etwa 1.000 Liberianer sämtlicher politischer Strömungen erschienen zur Eröffnungszeremonie der Gespräche am Mittwoch – allerdings kamen die Model-Rebellen nicht.

„Solange die Konfliktparteien keine Opfer bringen, um die ertrinkende Flagge von Mutter Liberia zu retten, wird dieses Land ein hoffnungsloses Gespött der Welt bleiben, während seine Menschen im Elend dahinvegetieren“, kommentierte die liberianische Tageszeitung The News und wies darauf hin, dass auch das Ausland Engagement unter Beweis stellen müsse: Eine Friedenstruppe dürfe nicht aus untätigen UN-Blauhelmen bestehen, sondern müsse notfalls alle Kriegsparteien gewaltsam entwaffnen. Liberianische Intellektuelle und zahlreiche Hilfswerke rufen die USA auf, in diesem Sinne eine Führungsrolle zu übernehmen – wie Großbritannien in Sierra Leone und Frankreich in der Elfenbeinküste.

Offensichtlich üben die USA bereits erheblichen Einfluss auf die Rebellen aus. Nachdem sie die Rebellen aufforderten, keine größeren Städte anzugreifen, verkündeten beide Rebellengruppen im Vorfeld der Friedensgespräche eine Pause in ihren Offensiven Richtung Buchanan und Monrovia. Doch mit der erzwungenen Abreise Präsident Taylors könnten die Verhandlungen gescheitert sein, bevor sie richtig begonnen haben. Das UN-Tribunal in Sierra Leone verkündete, als Präsident unter Anklage solle Taylor an den Friedensgesprächen nicht teilnehmen dürfen. Damit wäre der Fortgang des Bürgerkrieges garantiert.