: Boote unter Schaum gelegt
Wagnis Kulturtransfer: Mikiko Sato eröffnete vor zwei Jahren auf der Hamburger Museumsmeile die auf junge japanische Kunst spezialisierte Galerie CAI
von Petra Schellen
Wo liegt die Wahrheit? Außen oder innen? Ober- oder unterhalb des Papiers? Und ist das Verschwommene weniger real als das Scharfgestochene? Mikiko Sato, Gründerin der 2002 in Hamburg eröffneten Galerie „CAI – Contemporary Art International“ für japanische Kunst, mag sich nicht entscheiden. Ihr liegt an der Poesie der ausgestellten Werke und an der subtilen Verbindung westlicher und ostasiatischer Kultur.
Vor 15 Jahren ist Mikiko Sato, 1965 auf der nordjapanischen Insel Hokkaido geboren, nach Deutschland gekommen. „Mir wurde es dort zu eng.“ Obwohl ihr das damals nicht bewusst war: „Erst durch die Begegnung mit Ausländern habe ich bemerkt, wie wenig ich vom Rest der Welt wusste, und bald war klar, dass ich weg wollte.“ Nicht in die USA, sondern nach Deutschland. „Ich wollte etwas Exotisches.“
Exotisch genug war es, was die damals 25-Jährige, die „auf der Suche nach einem Lebensziel“ herkam, vorfand: „Die Unterschiede in Sprache und sozialen Codes waren riesig.“ Und doch wurde ihr schnell bewusst, „dass ich hier als Frau eigenständiger leben konnte, als es damals in Japan möglich war“.
Mehrmals pendelte sie, bevor sie sich fürs Bleiben entschied. 1995 hat sie den ebenfalls von Hokkaido stammenden DAAD-Stipendiaten Satoshi Hata kennen gelernt. „Er hat mir die Augen für die Kunst geöffnet.“ Denn Mikiko Sato ist keine Kunsthistorikerin, und sie hegte großen Respekt vor moderner Kunst. „Und dann sagte mir Hata, dass ich keine Bücher brauche, um zu verstehen. Sondern dass ich Kunst einfach sehen und spüren solle.“ Sie tat es, „bis ich begriff, dass das mein Thema war“. Folgerichtig also, dass sie zunächst Ausstellungen für Satoshi Hata organisierte – 1999 etwa „Immaculate Concept,“ eine Performance im Alten Elbtunnel. „Satoshi Hata ist nicht nur Künstler, sondern auch Idealist. Er wollte, dass die jungen Künstler Nordjapans eine Chance bekämen.“ In der Schau 43 Grad Nord auf Kampnagel hat sie 2001 weitere von ihnen präsentiert.
Inzwischen bespielt Mikiko Sato 60 Quadratmeter im Galeriehaus auf der Hamburger Museumsmeile zwischen Kunstverein und Deichtorhallen. Einen Mix aus Performance und minimalistisch angehauchten papierenen Phantasien zeigt sie dort. Hauptsächlich junge Künstler stellt sie aus – aber längst nicht mehr nur aus Japans Norden.
Einem poetischen Ansatz huldigen etliche, Probleme der japanischen Gesellschaft greifen sie auf, japanische Techniken auch – und vielleicht liegt hierin jene Eigenart, „die wir Japaner lange nicht gewürdigt haben. Früher galt das westliche Schönheitsideal. Die eigenen Charakteristika anzuerkennen – das war fremd für uns.“ Sie selbst hat das inzwischen gelernt: „Mein Traum ist es, japanische Kunst in Europa bekannt zu machen,“ sagt Sato, die schon etliche Künstleraustausche organisiert hat.
Zart pigmentiert kommen etwa die 2002 gezeigten Bilder Etsuro Katos daher. Sie wirken nur kurz monochrom, bis man die darunter getupften Raster erkennt. Pointillistisches kann man darin sehen. Doch kaum hat man das getan, entziehen sich die Bilder und sagen: „Vielleicht bin ich gar nicht da.“
Und Nobuyuki Osaki, der 2003 eingeladen war? Führt dies fort, indem er Prototypen von Häusern auf die Leinwand projiziert und verbleichen lässt. Keiner weiß, in welcher Dimension sie wohnen. Und seine skulptural aufgesetzten Flugzeuge und Boote wirken wie unter Schaum. Rund ein Drittel der bislang bei CAI Ausgestellten arbeitet mit solchen „Weiß“-Techniken. Sie leugnen die hektische Farbigkeit der Moderne und ermuntern zur Verlangsamung des Blicks.
Kengo Nakamura dagegen, ebenfalls 2003 zu Gast, hat Wohnungsgrundrisse mondrianbunt auf Japanpapier gemalt. Räumliche Enge in japanischen Großstädten wird hier zur schillernden Chiffre. Ist dies nun „typisch“ für die japanische Moderne? Und kann aus künstlerischer Symbiose ein eigener Mikrokosmos erwachsen wie in der aktuellen Schau Hiroshi Takedas, der in seinen Papierhäuschen Werke von Kollegen zeigt? Traditionelle japanische Ästhetik sucht er mit Frauenfotos zu verbinden, aus denen er eine Art Rotlicht-Ikonostase komponiert hat.
Und das kleine Papierhaus nebenan? Spielt den japanisch-deutschen Dialog: Alles Stoff – die Tiere, die Sprechblasen, das Kissen, auf das die Umrisse beider Länder gestickt sind. Ganz leicht zu nähen und jederzeit in den Alltag integrierbar. So ungefähr muss er aussehen, der Traum Mikiko Satos, die glaubt, „dass ich noch keine große Galeristin bin. Ich will wachsen mit meinen Künstlern, und eins weiß ich sicher: Mein Platz ist hier.“