piwik no script img

Archiv-Artikel

Bremens Mann in Brüssel

Christian Bruns hat viele Jobs in einem: Er repräsentiert die Freie Hansestadt Bremen bei der EU. Bremen ist einer von 2.500 Lobbyisten in Brüssel. Aber Bruns weiß, wie sich ein kleines Land im großen Europa Gehör verschaffen kann

von Susanne Gieffers

Der Mann ist Aufpasser. Übersetzer. Geldbeschaffer. Repräsentierer. Alles in einem. Christian Bruns vertritt das Land Bremen bei der Europäischen Union. In Bremen hat er ein Büro neben der Handwerkskammer, der Eingang liegt versteckt in einer Hintergasse, sein Büro hat einen – wenig repräsentativen – Blick auf zwei Dachfenster samt Regenrinne. Egal: Christian Bruns’ Platz ist vor allem in Brüssel. Seine Chefin ist Kerstin Kießler, Bremens Bevollmächtigte beim Bund und bei der EU – aber Bruns ist der Mann vor Ort. In Brüssel arbeitet er mit rund zwei Dritteln seiner insgesamt 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, „und das in einem sehr schönen Haus, sehr hanseatisch und schlicht“. Ihrer aller Job: Mitkriegen, was in der EU geplant wird, welche Auswirkungen das auf Bremen und Bremerhaven haben könnte und versuchen, Einfluss zu nehmen – im Sinne Bremens. Und sie sammeln Geld. Viel Geld.

Jede Menge Vorurteile

Christian Bruns ist überzeugter Europäer. Seit neun Jahren arbeitet der 52-Jährige in der Hauptstadt der EU, erst bei der Europäischen Kommission, seit viereinhalb Jahren als Bremen-Beauftragter. Seine Wurzeln, seine Basis aber, betont er, habe er in Bremen. Europa ist immer gegenwärtig, wenn Christian Bruns erzählt – obwohl er weiß, dass er damit eine Ausnahme darstellt. Das Europa-Interesse der Bundesbürger, die Bremer machen da keine Ausnahme, ist wenig ausgeprägt. „Wir haben alle Angst vor der Wahlbeteiligung“, sagt Bremens EU-Mann mit Blick auf die Europawahl am 13. Juni. Die Wahlbeteiligung vor fünf Jahren lag bei knapp 40 Prozent.

„Ich muss viel Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Christian Bruns. In seiner Brüsseler Vertretung bekommt er zahlreichen Besuch aus Bremen. Schüler, Studenten, Abgeordnete, Delegationen aller Art. Ihnen allen erklärt Christian Bruns die Vorzüge von Europa – aber auch die Probleme. Und nimmt ihre Vorurteile sehr ernst. „Zu bürokratisch, zu weit weg, zu wenig durchschaubar, zu teuer“, zählt er auf, was ihm am häufigsten begegnet und fügt hinzu: „Man kann dazu nicht sagen, das sei alles Quatsch. In solchen Vorurteilen steckt immer ein Stück Wahrheit.“ Also erzählt Christian Bruns von seiner Arbeit. Und widerlegt zumindest für das kleine Stückchen Bremen in Brüssel die Skepsis seiner Gäste.

„Ein unglaublicher Schatz“

Vor allem stellt Bruns eine Tatsache fest, die jüngere Menschen längst für selbstverständlich halten: „Mit der EU wurde eine nicht mehr zu revidierende Friedensordnung in Europa geschaffen. Es ist nicht mehr vorstellbar, dass unter europäischen Staaten ein Krieg geführt wird.“ Das, betont Bruns, sei ein „unglaublicher Schatz“. Der noch wertvoller werde mit der just vollzogenen Erweiterung der EU Richtung Osten. Das Zweite, was Bruns stets betont, ist, dass die EU ihre Ursprünge in einer Wirtschaftsgemeinschaft hat. „Mit Einzelökonomien hätten die europäischen Länder keine Chance im internationalen Wettbewerb.“ Das Politische wächst nun nach – stets in dem Maß, in dem die Staaten eigene Kompetenzen nach Europa abgeben. Es gilt das Subsidiaritätsprinzip: Und dabei kommt es, so Bruns als Vertreter des kleinsten Bundeslandes, vor allem darauf an, Gestaltungsspielräume vor Ort zu sichern. Motto: Brüssel soll sich um die Fragen kümmern, die europäisch geregelt werden müssen – die anderen Aufgaben sollen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Regionen verbleiben. „Eine EU, die sich auf lebendige Regionen stützt, ist ein wichtiger Beitrag zum Erhalt des Föderalismus“, sagt Bruns, „und damit zur Handlungsfähigkeit der Bundesländer, auch Bremens.“ In Brüssel, sagt Christian Bruns und das klingt nicht wenig selbstbewusst, säßen Menschen, „die weit nach vorne denken.“ Sie beschäftige gerade die gemeinsame Verfassung besonders, auf die die EU-Mitglieder sich im Juni verständigen wollen – eine einheitliche Rechtsordnung, „ein faszinierendes historisches Experiment“, so sagt es Bruns, denn mit der Verfassung vertiefe die EU ihre Strukturen, die sie mit der Osterweiterung zugleich ausdehne.

Gender was fürn Ding?

Ein Beispiel, das Bruns in diesem Zusammenhang nicht nennen würde, das aber die häufige Ferne Brüssels vom Lebensalltag beschreibt, ist das von der EU-Kommission empfohlene Instrument zur Gleichstellung von Männern und Frauen: gender mainstreaming. „Dafür gibt es keine Übersetzung“, gesteht Bruns zu. Gender mainstreaming bedeutet das Hinterfragen einer jeden Entscheidung auf ihre Auswirkungen sowohl für Frauen als auch für Männer. Es ist ein Instrument, auf das sich die bremische Verwaltung festgelegt hat. Nun wird sie nach und nach „gegendert“ (sprich: gedschändert) und es bedarf eigener Seminare und steter Wiederholung, Inhalt und Sinn dieses Instruments zu vermitteln. Obwohl es doch eigentlich so einleuchtend ist.

Ist der Ruf erst ruiniert ...

Ein anderes Beispiel, das die Ferne und vielleicht auch die Machtlosigkeit Europas gegenüber seinen Einzelstaaten verdeutlicht, findet sich in der Sozialpolitik. Eine EU-Beschäftigungsstrategie insbesondere für langzeitarbeitslose Menschen gibt es bereits. „Aber die EU ist in keiner Weise zuständig für nationale Arbeitsmarktpolitik“, stellt Christian Bruns klar. So hat die Strategie Empfehlungscharakter, die Mitgliedstaaten müssen berichten, das wiederum wird veröffentlicht, samt Erfolgen und Misserfolgen – das war’s. Wenn Bremen also einmal mehr die dann schon nicht mehr vorhandenen Beschäftigungsmaßnahmen für Sozialhilfeempfänger streichen würde, dann ist das schlecht fürs Image. Aber mehr nicht.

„Ich war hoch alarmiert“

Manchmal sind die Themen, die Christian Bruns in Europas Hauptstadt zu verhandeln hat, auch viel bodenständiger. „Port Package“ hieß ein Projekt, von dem Bruns’ Leute frühzeitig Wind gekriegt hatten. Es zielte auf die Liberalisierung der Hafen-Dienstleistungen. Nicht nur heimische oder schon immer dagewesene Unternehmen sollten den Hafen bewirtschaften dürfen, sondern auch fremde Firmen. Die Idee der EU, betont Bruns, sei eben grundsätzlich die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen und somit das Abschaffen von Wettbewerbsverzerrungen. „Ich war hoch alarmiert, als ich das hörte“, so Bruns mit Verweis auf die heimische Hafenwirtschaft und die vielen Arbeitsplätze, die es zu schützen gelte. „Da sind wir früh und hochrangig eingestiegen um aufzupassen, dass gewachsene Strukturen nicht zerschlagen werden.“ Was Bruns in diesem Fall tat, war klassische Lobby-Arbeit: den Mann, der die „Port Package“ vorbereitete, bearbeiten. Mit ihm essen gehen, ihm bremische Bedenken nahe bringen. Das Projekt scheiterte schließlich im EU-Parlament.

Der Mann ist Diplomat

Ist es für einen, der so glühend von der EU erzählt, nicht eine Gratwanderung, einerseits zur EU-Idee zu stehen, andererseits aber heimische, oft wenig EU-offene Interessen repräsentieren zu müssen? Darauf antwortet Christian Bruns diplomatisch. Er sagt: „Ich sehe mich wie ein Übersetzer. Ich übersetze EU-Politik nach Bremen. Und ich transportiere bremische Interessen auf die europäische Bühne.“

Und das sind nicht die Ängste der BSAG-Beschäftigten um ihren Arbeitsplatz, wenn ÖPNV-Dienstleistungen künftig europaweit ausgeschrieben werden. Diese Ängste sieht Bruns sehr wohl, nennt sie „völlig nachvollziehbar und legitim“. Aber sein Thema spielt in diesem Fall auf einer anderen Ebene. Es geht um den großen Komplex der „öffentlichen Daseinsvorsorge.“ Um Fragen wie diese: Inwieweit muss der Staat gewährleisten, dass auch nach 22 Uhr noch ein Bus aus der Stadt ins Dorf XY fährt – obwohl diese Linie kaum einer nutzt und sie Minus macht. Sie nämlich fiele bei kompletter Liberalisierung des ÖPNV hinten runter: Im freien Markt würde das Unternehmen profitable Bereiche stärken, unprofitable aber streichen. Einerseits sind da die Subventionen, die die EU hinterfragt. Andererseits ist da das Gemeinwohl: „Wir müssen aufpassen“, sagt Bruns, „dass der Staat seinen Versorgungsauftrag nicht preisgibt.“ Hier leitete er für die Bundesländer die Arbeitsgruppe, die eine Grundsatzposition zur öffentlichen Daseinsvorsorge auf EU-Ebene formulierte.

Einer unter 2.500

Das kleine Bremen habe im großen Brüssel einen sehr guten Ruf, sagt Christian Bruns. 2.500 Lobbyisten arbeiten in Brüssel, einer davon ist Bruns für Bremen. „In dem Wirrwarr müssen wir versuchen, die kleine Bremer Flagge hochzuhalten.“ Das gelingt Bruns – mit Selbstbewusstsein. Nicht bittstellerisch, nicht demütig gelte es, Bremen darzustellen, sagt Bruns, dafür gebe es auch keinen Grund. „Wir sind ganz stolz auf unsere Bewerbung zur Kulturhauptstadt“, nennt er ein Beispiel, so werbe er Unterstützung eher als Anerkennung oder Belohnung ein.

Das Einwerben ist die Seite von Christian Bruns’ Job, die sich mit Zahlen benennen lässt. Aus dem Europäischen Strukturfonds hat Bremen in den vergangenen sechs Jahren 260 Millionen Euro erhalten – Geld, das jeweils mit Bundes- oder Landesmitteln ergänzt und so auf eine Gesamtsumme von rund 750 Millionen Euro gesteigert wird. Zum Strukturfonds gehören zahlreiche Untertöpfe wie der Sozialfonds, aus dem Beschäftigungsmaßnahmen oder Stadtteilprojekte finanziert werden, oder der Regionalfonds, aus dem beispielsweise die Neugestaltung der Schlachte bezahlt wurde. Dieses Geld bekommt Bremen wie alle Einheiten, die zur EU gehören, quasi automatisch.

Den Geldfluss erhalten

Daneben aber, erzählt Bruns, gebe es „hunderte von kleinen Töpfen, auf die man sich bewerben muss“. Und das ist auch Bruns’ Sache: zu vermitteln, wo welche Mittel wie zu kriegen sind. Tipps nach Bremen zu geben, wie eine Bewerbung am effektivsten sei. Oder im entscheidenden Moment bei einem Entscheider anzurufen und auf die Bremer Bewerbung auf diesen Topf hinzuweisen. Im hohen zweistelligen Millionenbereich bewege sich die Summe, die von Brüssel nach Bremen gelange, sagt Bruns. Damit der Geldfluss weitergeht, aber auch damit Bremen über Bruns’ Arbeit und das Geschehen in Brüssel informiert ist, gibt sein Büro regelmäßig ein umfangreiches Infopapier heraus. Rund 1.000 Adressaten hat es in Bremen: neben Parlament und Senat zählen Universitäten, Schulen und zahlreiche Institutionen.

Eine der wichtigsten Aufgaben, die derzeit auf Bruns’ Brüsseler Schreibtisch liegt, hat auch mit Geld zu tun. Ab 2007 wird der Strukturfonds neu aufgelegt, mit neuem Zuschnitt, neuen Kriterien. „Meine wichtigste Aufgabe ist“, sagt Christian Bruns und da wird er sehr ernst, „darauf zu achten, dass Bremen und vor allem Bremerhaven im Strukturfonds bleiben.“