WALTRAUD SCHWAB über einen Sozial-Innovateur

Das Glück des linken Optimisten

So also sieht ein „linker Optimist“ aus: groß, schlank, mit einem fein geschnittenen Gesicht, Schnurrbart und lachenden Augen. Jung wirkt der Mann, trotz seiner 81 Jahre. Dass er Widersprüche liebt, ist ihm ins Gesicht geschrieben. Zu weiß sind seine Haare, zu schwarz seine Brauen, um von Einklang zu sprechen. Andere Gegensätze gibt es in seinem Leben auch: Detlef Militz tat wie ein Kapitalist, als er eigentlich hätte Sozialist sein müssen. Er war Optimist, als Pessimismus angesagt war. Er investierte in die Textilindustrie, als alle sie abschrieben. Heute, wo der Osten schon als „deutsche Wüste bezeichnet wird“, glaubt er, mit seinen Entwicklungen das Wasser- und Luftproblem Brandenburgs lösen zu können. Mit ein paar simplen Veränderungen unserer Kleidungsgewohnheiten will er das bewerkstelligen. „Größenwahn“ wird ihm nachgesagt. Dabei wirkt der Mann ganz bescheiden.

„Zu der medizinischen Revolution, die durch intelligente Kleidung eröffnet wurde, kommt nun die ökologische“, meint Militz. Man sieht auf den ersten Blick nicht, dass er sie auf der Haut trägt, denn das grüne Chlorophyllhemd steht ihm gut. Bis zu einem Kubikmeter Sauerstoff werde durch die Oberfläche in Verbindung mit der Körperwärme stündlich gebildet. „Für Lungenkranke ist das Hemd ein Segen, sie hängen viel seltener an der Sauerstoffmaschine“, sagt er.

Militz sieht gute Chancen für sein Produkt. Nicht zuletzt, weil die Brüsseler Regierung demnächst eine Verordnung herausgibt, die alle EU-Bürger verpflichtet, fünf Prozent ihrer Kohlenstoffdioxidausscheidung einzusparen. Wie es gemacht wird, ist egal. Entweder man verbraucht weniger Strom oder man investiert in Luftreinigung. Die neue Chlorophyllkleidung ist in diesem Zusammenhang eine viel versprechende Alternative.

Der Geschäftsmann Militz freut sich über die EU-Vorlage, der Aufrührer in ihm protestiert. Nun sollen die BürgerInnen die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Regierungen vor Jahren nicht in der Lage waren, die Industrie zu treibhausgasreduzierendem Produzieren zu zwingen. „Immer das Gleiche: Gewinne individualisieren, Verluste sozialisieren. Mein ganzes Leben lang sind Gesellschaften daran kaputtgegangen“, meint er.

Erfahrungen, die ihn zum Gesellschaftsvergleich befähigen, hat Militz genug. Er lebte in der DDR und war qua Geburt Sozialist. Gearbeitet hat er aber in einer kapitalistischen Enklave, die Devisen beschaffen sollte, weil die DDR-Währung international nichts wert war. Nach der Systemwende 1989 wurde er Kapitalist. Wenn auch ein sozialistischer. Davon profitieren heute vor allem seine MitarbeiterInnen.

„Die Welt erscheint mir in silbernem Schein“, meint Militz. Was lapidar klingen soll, wirkt eher unverbesserlich. Der Satz ist zum Logo seiner Firma „silvertex“ in Neuenhagen geworden. Sie hat Furore gemacht. Deshalb ist er Ehrengast beim 75. Jubiläum der „Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen ‚Otto von Guericke‘ e. V.“, das an diesem Wochenende in Berlin gefeiert wird. Ausgezeichnet wird er als Pionier des Wirtschaftsaufschwungs im Osten. Seine Firma war Vorreiter des neuen Textilindustriebooms zwischen Berlin und der ehemaligen polnischen und tschechischen Grenze, einer Gegend, die vor einem Vierteljahrhundert nicht nur umweltbezogen, sondern auch wirtschaftlich zu veröden drohte. „Ich habe immer nach vorne geschaut“, meint Militz stolz.

Seine kapitalistischen Erfahrungen in der DDR machte Militz im Textilbereich. Der Osten war damals ein Billiglohnland, in dem alle großen Westfirmen produzieren ließen. Nach der Systemwende brach die Industrie zusammen. Für Militz genau der richtige Moment, um in die Hände zu spucken und in Optimismus zu machen. Der Staatsbedienstete quittierte den sicheren Job, suchte sich eine Marktlücke, fand sie und begann Kleidung zu produzieren, die speziell auf die Bedürfnisse Behinderter zugeschnitten war. Dass RollstuhlfahrerInnen etwa Hosen brauchen, die vorn verkürzt und hinten verlängert sind, das hatte vorher niemanden interessiert. „Alero – Handicap Fashion“ hieß folgerichtig Militz’ erste Firma. „Wir liefen auf allen Ebenen außer der Norm“, meint er. „Das oftmals undifferenzierte Gejammer nach der Wiedervereinigung, dass der Westen den Osten ausnimmt, das hab ich auch immer für ein Klischee gehalten. Notieren Sie das, das ist mir wichtig“, sagt er.

Anfang des Jahrhunderts wurde bei Militz angefragt, ob er auch etwas für Leute mit Herzschrittmachern entwickeln könne, um sie vor Elektrosmog zu schützen. Dabei stieß er auf Silber und seine antistatischen Eigenschaften. In Kooperation mit Spinnereien und Webereien wurden ein haarfeines Silbergarn entwickelt und Textilien hergestellt, denen dies beigemischt ist. Zum ersten Mal wurde Wäsche produziert, die heute zu den „intelligenter Textilien“ gezählt wird. „Die Widerstände damals waren enorm. Nach der ersten Euphorie wurde die wissenschaftliche Fundierung angezweifelt“, erzählt er. „Bilderstürmer, Mittelalter, Fortschrittsangst – Sie glauben nicht, was da los war.“

Dass silberverstärkte Kleidung heute selbstverständlich gegen Elektrosmog, bei Neurodermitis, aber auch bei Körpergeruch eingesetzt wird, solche Veränderung hat Militz mit in die Wege geleitet. Weil die Materialkosten für die Produkte sehr hoch sind, fallen hohe Standortkosten in der EU nicht ins Gewicht. Deshalb konnte der Textilindustrie im Osten wieder auf die Beine geholfen werden. Die positiven Folgen sind enorm. Nicht nur Abwanderung wurde gestoppt, auch die Fremdenfeindlichkeit hat sich spürbar verringert. „Mein Credo: Arbeit und Auskommen fördern nicht nur Wohlstand, sondern auch Toleranz“, meint Militz.

Heute sind intelligente Textilien in Medizin und Umweltschutz gängig: Thermodiagnostik über die Kleidung, selbstreinigende Materialien, um den Wasserverbrauch zu reduzieren und Wasserverschmutzung zu verhindern, sind für uns selbstverständlich. Seit zwei Jahren steht nun der Militz’sche Coup par excellence ins europäische Haus: photosynthetische Kleidung, die Kohlendioxid in Sauerstoff umwandelt. „Die Jeder-Mensch-sein-Baum-Kampagne wird meine vorletzte Schlacht“, meint Militz. Und die letzte? „Die spare ich mir für später auf“, sagt er und streicht sich gedankenverloren durchs weiße Haar.

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