piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Abstieg

Vom Erfinder der „Spaßpartei“ zum Außenseiter: Möllemanns letzte Jahre

Spiel mit untergründig antisemitischen Stimmungen

aus Düsseldorf PASCAL BEUCKER

Es war ein bizarrer Auftritt. Gestern Mittag, gegen 12.00 Uhr, kam Hans-Joachim Kuhl, der engste Mitarbeiter Jürgen W. Möllemanns, in den Presseraum des nordrhein-westfälischen Landtags. Wo sein Arbeitgeber sich gerade befinde? Möllemann nehme gerade mehrere Termine in Düsseldorf wahr, antwortete sein Büroleiter. Vielleicht käme sein Chef auch noch im Landtag vorbei. Nur eine Stunde später kam die Nachricht per Eilmeldung: Jürgen Wilhelm Möllemann stürzte sich mit dem Fallschirm in den Tod.

Tags zuvor war Möllemann tatsächlich noch im Landtag gewesen. Er sah aufgedunsen aus, wirkte niedergeschlagen. Gern hätte der Fraktionslose wieder mitgespielt, den Spaltpilz in die kriselnde rot-grüne Koalition zu treiben. Er war sicher, er könne das besser als seine Erben in der noch unlängst von ihm geführten FDP-Fraktion.

Knapp drei Jahre ist es her, da war Möllemann noch ihr gefeierter Star: Er hatte es geschafft, die Liberalen an Rhein und Ruhr nach Jahren der außerparlamentarischen Trostlosigkeit zurück mit sensationellen 9,9 Prozent in den Landtag zu führen. Allerdings: Der Erfolg war nicht nur auf den unermüdlichen Einsatz des liberalen Polit-Entertainers zurückzuführen, sondern auch auf einen enormen Einsatz finanzieller Mittel aus fragwürdigen Quellen. Nachdem sein Traum einer rot-gelben Koalition mit NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement geplatzt war, zog es Möllemann zunehmend wieder in die Bundespolitik.

Auch da plante er Großes: 18 Prozent solle die Zielzahl bei der Bundestagswahl 2002 sein, verkündete er bereits Ende Mai 2000. Das Selbstverständnis der FDP müsse sich „von der Nischenpartei zur Volkspartei mausern“. Er startete das „Projekt 18“. Damit setzte Möllemann sich durch. Er drehte die Schraube weiter und die Partei machte mit – erwachsene Menschen liefen mit „18“-Stickern, -Hemden, -Schuhen und -Unterhosen herum. Der reichlich muffige Haufen mutierte zur „Spaßpartei“.

Allerdings gehörte zu Möllemanns Strategie noch mehr. Denn er hatte frühzeitig erkannt: In die Höhen, in die er die FDP illusionierte, konnte die Partei nur durch kräftige populistische Einschläge kommen. So wie es Haider in Österreich vorgemacht hatte. „Tabubrüche“ gehörten dabei zur Kalkulation. So waren denn auch Möllemanns Ausfälle gegen die israelische Regierung und gegen Michel Friedman kein privater Spleen, sondern ein ebenso bewusstes Spielen mit latent vorhandenen antisemitischen Stimmungen, wie er auch ganz gezielt das Bild von der bösen „politischen Klasse“ bemühte, der er sich angeblich tapfer entgegenstelle. Möllemann wollte die FDP als vermeintliche „Protestpartei“ auch für die rechten gesellschaftlichen Grundstimmungen attraktiv machen.

Die FDP, allen voran Parteichef Guido Westerwelle, machte bei dem Spuk mit, denn er versprach Erfolg. Erst als die Partei zunehmend mit der von Möllemann verschuldeten „Antisemitismusdebatte“ in die Schlagzeilen und ein Popularitätstief fiel, rückte sie von ihm ab. Und dann kam Möllemanns Flugblatt gegen den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, wenige Tage vor der Wahl. Es war der Versuch gewesen, den Sinkflug seiner Partei zumindest an der Heimatfront zu stoppen.

Der Ex-Woche-Chefredakteur Manfred Bissinger verglich die FDP nach der verlorenen Bundestagswahl mit der New Economy: Eine Blase ist geplatzt. Für eine Bundesspitze, die sich mit ihrem „Spaßwahlkampf“ lächerlich gemacht hatte, aber nicht über eigene Fehler nachdenken wollte, musste Möllemann nun als Sündenbock herhalten. Möllemanns Anti-Friedman-Postwurfsendung kam ihnen da nur gelegen. Noch auf dem Sonderparteitag Anfang Dezember verteidigten ihn nicht wenige mit großem Engagement. Ein Delegierter sprach sogar davon, dass „seit Uwe Barschel keine Partei so eliminatorisch“ mit einem Mitglied umgegangen sei wie die FDP mit Möllemann. In Nordrhein-Westfalen wurde das Kapitel Möllemann erst mit seinem Austritt im März dieses Jahres geschlossen.

Aber da war sein Stern bereits auf einen Tiefpunkt gesunken. Zuletzt sah er sich gleich vier Ermittlungsverfahren ausgesetzt: Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelt gegen Möllemann wegen Steuerhinterziehung. Das Verfahren dreht sich um die Abhebung von 1 Million Euro von einem Möllemann-Konto bei einer Luxemburger Bank im Frühjahr 2002. Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf laufen gleich drei Verfahren gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz, Untreue und Betrugs. Möllemann, so der Verdacht, soll illegale Parteispenden angenommen und transferiert haben. Im ersten Verfahren geht es um die rund 840.000 Euro zur Finanzierung seines Anti-Friedman-Flugblatts, das zweite beschäftigt sich mit Spenden aus den Jahren 1999 und 2000 zur Finanzierung des Landtagswahlkampfs 2000, bei dem dritten spielen Spenden aus den Jahren 1996 und 2001 in geringerer Höhe eine Rolle. Die Vorwürfe hat Möllemann bis zuletzt bestritten – allerdings kein einziges Mal zu ihnen im Detail Stellung genommen.