„Frauen machen Radau“

Heute dürfen erstmals Frauen beim Frühlingsfest der Zürcher Zünfte marschieren. Im Vorprogramm

Man sollte meinen, in einer Stadt wie Zürich sei der Kampf der Geschlechter längst ausgestanden. Die Stadt gilt als weltoffen. Am heutigen Montag wird sich einmal mehr zeigen, dass dieser Schein trügt. Heute ist wieder „Sechseläuten“, das traditionelle Frühlingsfest der Zürcher Zünfte.

Das „Sechseläuten“ ist ein farbenfroher Umzug in historischen Trachten, mit Pferden und strammer Marschmusik. Als Höhepunkt wird um Punkt sechs Uhr abends ein Pappschneemann, der so genannte Böög, auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Je eher die in seinem Kopf versteckten Feuerwerkskörper explodieren, desto schöner wird der Sommer. So will es das Brauchtum.

Das Brauchtum will auch, dass einer Zunft nur Männer beitreten dürfen. Tradition ist Tradition, und am Umzug sind demnach Frauen nur als Gäste zugelassen – beziehungsweise als Dekoration. Ihre Aufgaben: Blumen tragen, lächeln und winken. Es ist erstaunlich, dass immerhin bei den Reiterbrigaden Stuten zugelassen sind.

Die Frauen wehren sich seit vielen Jahren gegen die Diskriminierung. 1988 gründeten wackere Zürcherinnen die „Gesellschaft zu Fraumünster“. Die Frauenzunft forderte eine offizielle Beteiligung am Umzug und kam damit in die Schlagzeilen von Schweizer Zeitungen. Es half ihr nicht.

Im Frühling 2003 erreichte der Konflikt seinen Höhepunkt. Nachdem die Frauenzunft drei Jahre lang als Demonstration angemeldet auf einer anderen Route durch die Altstadt gezogen war, drohte sie nun mit juristischen Schritten. Sie berief sich auf das Grundrecht, dass Mann und Frau vor dem Gesetz gleich sind. Der Präsident des Zentralkomitees der Zünfte Zürichs, Hans Peter Buchmann, konterte darauf wenig charmant: „Lachhaft! Die Frauen machen halt gerne Radau.“

In diesem Frühling aber scheint ein wärmerer Wind durch Zürichs Gassen zu wehen. Die „Gesellschaft zu Fraumünster“ darf erstmals die offizielle Sechseläuten-Route gehen – wenn auch in gebührendem Abstand zu den Herren, 45 Minuten vor dem eigentlichen Umzugsbeginn. Die Zürcher Frauen sind den Männern nicht nur beim Umzug, sondern auch bei der Gleichberechtigung um einiges voraus.

LORENZ CLORMANN