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Archiv-Artikel

„Es ist ihre Entscheidung“

Die Krankenschwestern und Ärzte der Pro Familia helfen auch zwischen den Jahren Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen möchten. Ein furchtbarer Arbeitsalltag? Nein, sagt eine von ihnen

CORNELIA GOLKE, 51, arbeitet als Krankenschwester im Medizinischen Zentrum der Pro Familia Bremen.

INTERVIEW: EIKEN BRUHN

taz: Frau Golke, Sie arbeiten seit 23 Jahren bei Pro Familia und betreuen Frauen beim Schwangerschaftsabbruch. Sind Sie wegen Ihrer Arbeit schon einmal angegriffen worden?

Cornelia Golke, Krankenschwester: Nein, so direkt nicht, obwohl ich ganz offen darüber spreche. Aber es gibt immer Menschen, die Schwierigkeiten damit haben, mit denen diskutiere ich dann. Ich glaube, viele denken sich, wenn sie mich kennen lernen: „Wie kann man so nett sein und so eine Arbeit machen?“ Die meisten nutzen die Gelegenheit und fragen nach. „Was sind das für Frauen?“ – „Warum machen sie den Abbruch?“ – „Was passiert bei der Behandlung?“ Ich habe auch immer mal wieder gehört: „Was für ein furchtbarer Job, wie hältst du das jeden Tag aus?“ Dann sage ich: „Ich muss mich nicht entscheiden, meine Aufgabe ist es, die Frauen gut zu betreuen.“ Als Krankenschwestern haben wir eine ganz wichtige Aufgabe, weil wir die Frauen von Anfang an begleiten und diejenigen sind, die merken, wenn sie noch unentschieden sind, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Geschieht es oft, dass es sich eine Frau anders überlegt?

Die meisten bleiben, aber es kommt immer mal vor, vielleicht einmal in der Woche, dass eine wieder geht. Man sieht das sofort. Sie sitzt ganz angespannt da oder die Tränen laufen, dann fragen wir nach. Wenn sie sagt: „Ich habe Angst vor der Spritze“, kann man noch fragen: „Wie ist es mit der Entscheidung?“ Wenn sie dann sagt: „Ich weiß nicht“, dann frage ich, wo sie zur Beratung war, wer sie begleitet hat, in der wievielten Woche sie ist, sage ihr, dass sie noch mal wieder kommen kann, dass sie sich noch mal beraten lassen kann. Es gibt Frauen, die kennen das ganze Haus. Die kommen x-mal zur Beratung, sagen Behandlungs-Termine ab, kommen und gehen dann wieder. Manchmal entscheidet die Zeit dann für sie, aber fast alle lassen sich dann doch behandeln. Einmal habe ich es bei einer Vollnarkose erlebt, dass eine Frau, als sie schon auf dem Behandlungsstuhl lag und die Narkoseärztin ihr die Kanüle legte, irgendwie reagierte. Ich kann gar nicht sagen wie, vielleicht zwinkerte sie mit den Augen, auf jeden Fall habe ich sie gefragt, was los ist, und sie sagte: „Ich will gar nicht, ich steh auf.“

Was ist mit denen, die liegen bleiben, obwohl sie unglücklich wirken?

Wir sprechen es immer an, wenn wir so etwas merken, aber wenn eine weint und sagt: „Ich will nicht reden, ich mache das jetzt“, auch wenn es ihr sichtlich schwer fällt, dann ist das in Ordnung, es ist ihre Entscheidung. Darum geht es, dass sie entscheidet. Ich sage denen manchmal, dass sie sich auch für etwas entscheiden, vielleicht für die kleinen Kinder, die noch zu Hause sind oder dafür, ihre Beziehung erst einmal zu klären. Es geht ja eigentlich nie um den Abbruch, sondern um etwas ganz anderes, um die Beziehung, die Lebenssituation. In die Tiefe gehen können wir in dem Moment aber nicht, wir können sie nur ermutigen.

Bei der Pro Familia sind Beratung und der medizinische Bereich wegen der Gesetzesvorschriften streng getrennt. Fällt es Ihnen schwer, sich zurückzuhalten?

Natürlich tut mir manchmal die Frau einfach leid. Oder der Mann, wenn er beim Eingriff dabei ist und nicht gut mit der Situation fertig wird. Ich habe aber kein Bedürfnis zu intervenieren, die Distanz zu halten, lernt man als Krankenschwester. Ich weiß nicht, ob es anders wäre, wenn die Frauen länger hier wären. So erlebe ich nur einen kleinen Ausschnitt von ihnen, sie sind ja in der Regel nur Stunden hier.

„Frauen kommen in diese Situation und brauchen Hilfe und keine Vorhaltungen“

Haben Sie jemals daran gezweifelt, dass Sie das richtige tun?

Nein. Mit dem Abbruch an sich habe ich keine Probleme, da war ich immer sehr klar in der Haltung. Anfang der 80er Jahre habe ich auch gegen den Paragraphen 218 demonstriert, dessen Abschaffung Pro Familia immer noch fordert. Ich habe die ganze politische Entwicklung mitbekommen, wie Freundinnen nach Holland zum Abbruch gefahren sind, als das hier noch nicht erlaubt war. Wie Frauen sich bis Mitte der 90er Jahre, als die Indikations- von der Fristenregelung abgelöst wurde, was ausdenken mussten, um die Indikation „soziale Notlage“ zu bekommen. Ich wusste einfach, später auch aus eigener Erfahrung, Frauen kommen in diese Situation und brauchen Hilfe und keine Vorhaltungen. Das kann einmal im Leben passieren oder auch mehrmals. Ich weiß nicht, wie mich das beeinflusst hat, aber meine Urgroßmutter ist in der Weimarer Zeit an einem Schwangerschaftsabbruch auf dem Küchentisch verblutet. Mein Großvater war damals acht und hat das mitbekommen. Der war zwar durch und durch konservativ, und wir lagen politisch nie auf einer Linie, aber als er hörte, dass ich hier anfange, hat er gesagt: „Gut, dass du das machst.“

Haben Sie nie an die andere Seite gedacht, an den Embryo?

Doch, natürlich. Ganz am Anfang gab es diesen Moment, wo ich darüber nachgedacht habe, was ist mit der anderen Seite, mit dem Kind, das entstehen könnte. Es war auch heftig, das erste Mal das Schwangerschaftsgewebe, wie wir es nennen, zu sehen. Wobei man dazu sagen muss, das hat mit dem, was sich viele Menschen vorstellen, also mit einem fertigen Kind, wenig zu tun, zumal die meisten Frauen sehr früh zu uns kommen.

Und wenn sie erst sehr spät kommen?

Das macht für mich keinen Unterschied. Ich habe die Aufgabe, das Gewebe zu kontrollieren, ob alles vollständig ist. Wir haben manchmal Praktikantinnen hier, die fragen das auch: „Ach Mensch, warum kam die nicht früher?“ Aber ich erlebe die Frauen als sehr verantwortungsvoll und weiß aus den vielen Geschichten, die ich gehört habe, dass sie ihre Gründe haben. Ich würde auch nie eine kritisieren, wenn sie zum fünften oder zehnten Mal kommt. Da kann ich mir Sorgen machen und mich fragen: „Was kriegt die nicht geregelt mit der Verhütung oder hat sie einen Kinderwunsch?“

Schwangerschaftsabbrüche in Bremen

Als erste Einrichtung überhaupt in der Bundesrepublik führt Pro Familia Bremen seit 1979 ambulante Schwangerschaftsabbrüche durch – anfangs unter Protesten von Konservativen und der Katholischen Kirche. Gegen den allgemeinen Trend zur Vollnarkose wählt die Hälfte der Frauen, die das medizinische Zentrum in Schwachhausen heute aufsuchen, die lokale Betäubung, ein kleiner Teil entscheidet sich für den medikamentösen Abbruch. Ein Drittel aller Abbrüche im Land Bremen geschieht innerhalb der ersten sechs Schwangerschaftswochen, der Bundesdurchschnitt liegt bei 13 Prozent. Pro Familia bietet außerdem Sterilisationen für Frauen und Männer sowie das Einsetzen von Spiralen an.

Vergleichbare Einrichtungen der Pro Familia gibt es nur noch in Kassel, Mainz, Saarbrücken und Rüsselsheim, in Berlin arbeitet ein anderer Träger nach einem ähnlichen Modell. Wirtschaftlich und organisatorisch getrennt von den medizinischen Zentren sind seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum § 218 im Jahr 1993 die Beratungsstellen. Diese finden sich auch in kleineren Orten. Der Verein, der auch Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung heißt, fordert nach wie vor die Streichung des § 218 im Strafgesetzbuch.  eib

Zu Ihnen kommen auch Frauen, die vergewaltigt wurden oder die hier zur Prostitution gezwungen werden und dabei schwanger geworden sind. Wie gehen Sie damit um?

Das ist schwer auszuhalten, vor allem, weil wir Gewaltopfern ohne ihre Einwilligung nicht helfen können. Das heißt, wir können ihnen nur Hilfe anbieten, aber nicht eigenmächtig die Polizei rufen, weil wir im Fall der Zwangsprostituierten – die meistens gerade mal 18, 19 Jahre alt sind und kein Deutsch sprechen – sie selbst und ihre Familien in Gefahr bringen würden.

Gibt es schöne Momente in Ihrem Job?

Ja, klar, sonst würden meine Kolleginnen und ich hier ja nicht so gerne arbeiten! Schön ist zum Beispiel, wenn eine Frau geht und mich in den Arm nimmt und sagt: „Das war klasse, Sie haben mich gut betreut.“ Oder eine ist vorher so traurig und liegt hinterher im Bett und entspannt sich und bekommt ein ganz anderes Gesicht und lächelt. Selbst wenn sie immer noch traurig ist, sieht man, sie hat es geschafft.