: Zypries legt Menschenrechte neu aus
Staatlich verordnete Zwangsdienste sind durch mehrere internationale Menschenrechtsabkommen verboten. Justizministerin Zypries sieht das neuerdings anders – und macht einen neuen Vorstoß für ein soziales Pflichtjahr
BERLIN taz ■ Das soziale Pflichtjahr für junge Menschen beschäftigt die Fantasie deutscher PolitikerInnen immer noch. Am Wochenende warf Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erneut einen Stein ins Wasser. Die Internationalen Menschenrechtskonventionen, die Zwangsdienste verbieten, könnten neu ausgelegt werden, so Zypries in einem Brief an Verteidigungsminister Peter Struck, Familienministerin Renate Schmidt und Innenminister Otto Schily.
Der Sorge, die sozialen Dienste könnten nach einer eventuellen Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes unter Arbeitskräftemangel leiden, hatte verschiedene PolitikerInnen laut über ein Pflichtjahr nachdenken lassen. Zuletzt hatte Innenminister Otto Schily gemeint, dass ein solches Pflichtjahr das „Abwehrbewusstsein“ der deutschen Gesellschaft gegen Terrorrismus stärke, denn es schaffe ein „Reservoir an Helfern“ für mögliche Notlagen.
Dagegen hatte unter anderem Familienministerin Renate Schmidt argumentiert und auf die gesetzlichen Grundlagen verwiesen. Das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und auch der Internationale Pakt über die bürgerlichen Menschenrechte verbieten solche Dienstpflichten mit wenigen Ausnahmen. Das stellt auch der Bericht „Perspektiven für Freiwilligendienste und den Zivildienst in Deutschland“ erneut fest, den eine Kommission vor kurzem für Schmidts Haus anfertigte.
Zypries nun plädiert dafür, die Ausnahmen, die auch diese Konventionen vorsehen, so auszulegen, dass ein Pflichtjahr darin Platz hätte. Die Europäische Menschenrechtskonvention etwa erlaubt Dienstpflichten in vier Fällen: im Gefängnis, im Militär- oder Ersatzdienst, bei Notständen oder Katastrophen und bei Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören. Unter Letztere könnte man laut Zypries nun das Pflichtjahr einreihen. Dazu, so regt sie an, sollte ein externes Rechtsgutachten erstellt werden.
Bisher allerdings umfassten diese Bürgerpflichten den ehrenamtlichen Deichschutz oder die Pflicht, bei der Feuerwehr auszuhelfen. In der Expertise des Familienministeriums heißt es: „Ein ökologisches oder soziales Jahr fällt nicht hierunter.“ Das Justizministerium regt eine Neuinterpretation an: „Ministerin Zypries will diese Ausnahmen nicht mehr historisch auslegen, sondern zukunftsoffen“, sagte ein Sprecher gestern der taz.
Die angeschriebenen Ministerien hatten den Brief am Sonntag noch nicht erhalten und wollten den Vorstoß daher noch nicht bewerten. „Das Familienministerium bleibt aber bei seiner Rechtsauffassung“, teilte Schmidts Ministerium mit. Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk wurde deutlicher: „Man kann sich doch nicht internationale Konventionen, die allgemeine Dienstpflichten verbieten, so zurechtstricken, dass das allgemeine Pflichtjahr plötzlich hineinpasst,“ sagte sie der taz.
Mit ihrer Neuauslegung steht Zypries international übrigens allein auf weiter Flur: Der einzige Staat der Welt, der ein Pflichtjahr kennt, ist die Militärdiktatur Birma. HEIDE OESTREICH