piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ohne Vertrauen keine Reform“

Interview RALPH BOLLMANN

taz: Frau Schwan, als die taz 1979 gegründet wurde, stritten Sie gerade an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt für den Nato-Doppelbeschluss. Was bringt ausgerechnet Sie dazu, 25 Jahre später eine Laudatio zum taz-Jubiläum zu halten?

Gesine Schwan: Wir sind ja nicht im Jahr 1979 stehen geblieben. Die taz hat sich geändert, auch ich habe mich vielleicht in einigen Punkten geändert. Immerhin habe ich Ihre Zeitung jetzt schon seit 16 Jahren ohne Unterbrechung abonniert.

Warum haben Sie die taz damals bestellt?

Die taz ist zu einer sehr wichtigen Institution in dieser Demokratie geworden. Manche anderen Zeitungen machen ja eher eine Art Politikberatung. Sie fragen immerfort: Was würden wir anstelle der Regierenden tun? Das braucht eine Demokratie, aber sie braucht eben auch die taz: Eine Zeitung auf Oppositionskurs, die mahnt und kritisiert – ohne Rücksicht darauf, wie sie in Verantwortung handeln würde.

Auch von Ihnen waren zuletzt immer radikalere Töne zu vernehmen. So haben Sie wiederholt die „gemeinschaftszerstörenden Wirkungen des Kapitalismus“ beklagt. Ist aus der Antikommunistin Gesine Schwan eine Antikapitalistin geworden?

Es ist eine uralte Einsicht, dass die kapitalistische Logik die Werte der Demokratie unterminiert. In der Politik steht die Würde des Menschen im Mittelpunkt, während die kapitalistische Wirtschaft ihn als Produktionsfaktor instrumentalisiert. Die Kommunisten haben fälschlicherweise geglaubt, die Politik könne diesen Widerspruch endgültig auflösen. Sie kann ihn aber nur immer aufs Neue austarieren. Deshalb hieß es dann ja auch im Godesberger Programm: „Der demokratische Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe.“

Ist Ihre Nominierung also Teil eines Beruhigungsprogramms für die SPD-Basis? Eine Kapitalismuskritikerin wird Präsidentschaftskandidatin, Franz Müntefering befriedet die Partei – und die Regierung kann weitermachen wie gehabt?

Gerhard Schröder hat schon bei unserem ersten persönlichen Treffen vor mehreren Jahren daran erinnert, dass wir früher sehr unterschiedlicher Meinung waren …

mit umgekehrten Fronten allerdings …

… eben! Er hat dann gesagt: „Du hast dich weniger ändern müssen als ich.“ Ich finde, darin liegt eine wirkliche Souveränität. Es geht Schröder durchaus um gute Politik.

In Ihrem Buch über „Politik und Schuld“ beschreiben Sie die Deutschen als „eine Nation, der es auffällig an Wärme und an Vertrauen fehlt“. Einem solchen Land wollen Sie als Präsidentin vorstehen?

Dieses Zitat aus einer Allensbach-Umfrage war von mir durchaus wohlwollend gemeint. Ich möchte, dass die Deutschen eine möglichst positive demokratische Rolle spielen. Und ich möchte, dass sie sich mit dieser Rolle wohl fühlen, dass sie wieder mehr Wärme und Vertrauen gewinnen. Ohne Vertrauen werden wir auch den Reformprozess nicht bewältigen.

Was kann da eine einzelne Person bewirken?

Vertrauen bedeutet letztlich immer: Vertrauen in einzelne Personen. Das Amt des Bundespräsidenten genießt ein vergleichsweise hohes Vertrauen, das zeigen alle Umfragen. Wenn man mir in diesem Amt überdies als Person vertraut, könnte ich die zerstrittenen Akteure zusammenbringen – und ein Gespräch darüber in Gang bringen, was eigentlich unsere gemeinsamen, langfristigen Interessen sind.

Bei den alten Griechen war die Hybris ein Vergehen gegen die Götter, schreiben Sie in Ihrem Buch.

Ich sage ja nicht, dass ich als Gesine Schwan für ganz Deutschland Vertrauen schaffen kann. Sondern dass Personen und Ämter so etwas grundsätzlich können. Es gibt eine interessante Untersuchung des amerikanischen Politologen Robert D. Putnam, warum die Demokratie in Norditalien funktioniert und in Süditalien nicht. Die Antwort: Es geht immer um Vertrauen. Im Süden hat sich ein Misstrauen eingefressen, das schwer zu überwinden ist. Trotzdem ist es einzelnen Vertrauensträgern gelungen, einen Neuanfang zu setzen – denken Sie etwa an den früheren Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando.

Sie wollen Deutschland im Ernst mit Sizilien vergleichen?

Nein, natürlich nicht. Die Situation in Deutschland ist eine völlig andere. Ich rede abstrakt über die Möglichkeiten, Misstrauen zu überwinden.

Und wenn das Misstrauen berechtigt ist? Die Bundesregierung klempnert schon lange genug an den Reformen herum. Warum sollen ihr die Leute noch vertrauen?

Das Misstrauen entsteht, weil die Situation insgesamt so unübersichtlich ist. Das ist nicht nur in Deutschland so. Es ist auch in Frankreich so, in Polen, eigentlich in allen großen Industriestaaten. Deshalb müssen alle immer wieder nachbessern.

Macht das die Sache einfacher?

Natürlich nicht. Die anstehenden Reformen sind eine Aufgabe, die Parlament und Regierung gar nicht mehr alleine bewältigen können. Wenn man Politik heute effektiv betreiben will, dann muss man auch mit den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten – und zwar nicht nur mit solchen Interessengruppen, die ganz deklariert Partikularinteressen vertreten, sondern auch mit Wissenschaftlern oder Nichtregierungsorganisationen, die sich um übergreifende Ziele kümmern.

Sie wollen also noch mehr Konsens, obwohl unsere Konsensgesellschaft schon jetzt als Problem gilt?

Wir können uns in Deutschland nicht richtig streiten, weil uns ein tragender Grundkonsens gerade fehlt – ein Konsens darüber, was demokratische Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität für uns bedeuten. In der Politik gehören Konflikt und Konsens immer zusammen. Nur wenn wir das Terrain geklärt haben, ist eine harte Auseinandersetzung möglich.

Auch eine solche Klärung ändert nichts daran, dass wir in wirtschaftlich schwierigen Zeiten leben. Da ist es doch logisch, dass die Leute Einschnitte fürchten – und entsprechend misstrauisch reagieren.

Das ist nur so lange logisch, wie die langfristige Perspektive dieser Reformen nicht jedem klar ist. Es heißt immer: Wir leben in einem neuen Globalisierungsschub, wir müssen uns dem Wettbewerb mit der früheren Zweiten und Dritten Welt stellen. Deshalb müssen wir unser hohes Niveau an Lohnkosten und Sozialsicherung abbauen. Denkt man dieses Modell zu Ende, dann bewegt sich Deutschland langfristig auf das Niveau der Dritten Welt zu.

Also stimmen Sie dem Bundeskanzler zu, der die Verlagerung von Produktion nach Osteuropa zum „unpatriotischen Akt“ erklärte?

Wir können doch die neuen EU-Mitglieder nicht einladen, zu Europa zu gehören – und dann sagen, dort sollen auf keinen Fall irgendwelche Fabriken angesiedelt werden. So habe ich Gerhard Schröder auch nicht verstanden. Durch die Verlagerung der Produktion entsteht dort neue Kaufkraft, und das schafft neue Märkte für unsere eigene Produktion. Stattdessen brauchen wir natürlich Produkte, die es woanders nicht gibt. Das ist eine Frage von Bildung und Innovation. Hier ist tatsächlich so etwas wie ein Patriotismus der Unternehmer gefragt.

Haben die Sozialdemokraten, die jahrzehntelang das traditionelle Sozialstaatsmodell vertreten haben, jetzt Schuldgefühle?

Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, weil er sich der Wirklichkeit stellt. Er muss sich allerdings ernsthaft um eine kreative Neuformulierung von sozialer Sicherung bemühen. Er muss die Gesellschaft in die Lage versetzen, die geforderte Eigenverantwortung tatsächlich zu praktizieren. Die Leute spüren sehr genau, ob eine Politik das ernsthaft will – oder ob es ihr nur um kurzfristige Erfolge geht.

Sie haben einmal darauf hingewiesen, dass mangelndes Vertrauen in andere häufig auf mangelndes Selbstvertrauen zurückzuführen ist. Kann die Regierung ihre Reformen auch deshalb so schlecht vermitteln, weil sie selbst nicht überzeugt ist?

Ich habe nicht den Eindruck, dass es den führenden Exponenten dieser Regierung an Selbstvertrauen mangelt.

Frau Schwan, haben Sie jemals geglaubt, am 23. Mai gewählt zu werden?

Ich habe eine gute Chance. Die Mehrheit von Union und FDP ist nicht sehr groß, und die Risse im bürgerlichen Lager sind an verschiedenen Punkten durchaus erkennbar.

Deklinieren wir doch mal durch, wer Sie in der Bundesversammlung wählen könnte. Erstens: die FDP. Doch sie ist mit dem Wirtschaftsliberalen Horst Köhler hoch zufrieden.

Die FDP ist ja die Partei, die traditionell die heterogensten Strömungen vereinigt – von sozialliberal bis marktradikal. Da könnte sich der eine oder andere schon überlegen: Hier geht es nicht darum, eine Koalition für 2006 zu schmieden. Hier geht es um ein überparteiliches Amt.

Zweitens: Die Vertreter des CDU-Sozialflügels können sich mit Horst Köhler nicht gut anfreunden. Trotzdem werden sie es kaum wagen, Angela Merkel zu beschädigen.

Aber sie könnten eine Präsidentin wollen, die auch den Schwächeren in der Gesellschaft eine Stimme gibt. Ich kann gut verstehen, dass sie das vor dem 23. Mai nicht öffentlich sagen.

Bleiben drittens die Merkel-Gegner, vor allem in der CSU. Sie denken jedoch wie Michael Glos: So viele Fehler kann Herr Köhler gar nicht machen, dass wir Frau Schwan wählen.

So ein Zitat würde ich von meiner Partei über mich nicht gerne hören. Das hieße doch: Die Person und ihre Standpunkte sind gar nicht wichtig.