: Tönende Termiten
Statt Alphörnern werden in Pfronten australische Didgeridoos gespielt
Alles würde man im noch immer tief verschneiten Pfronten erwarten: lange Alphörner, eine zünftige Blasmusik, ein deftiges Weißwurstfrühstück, aber sicher keine australischen Ur-Instrumente. Doch in einem kleinen Haus an der Straße nach Füssen, da ist alles ein klein wenig anders. Hier gibt es keine Alphörner. Hier treffen sich gelegentlich die „Allgäu-Termiten“.
Lange haben sie den Namen noch nicht, und wenn sie erzählen, was es damit auf sich hat, dann schmunzeln die leidenschaftlichen Didgeridoospieler aus dem Königswinkel. Zwischen Füssen und Pfronten im Allgäu sind sie daheim, und anders als sonst in dieser Bergregion üblich blasen die „Allgäu-Termiten“ nicht auf Alphörnern, sondern auf Didgeridoos; auf Instrumenten also, wie man sie von den australischen Ureinwohnern, den Aborigines, kennt. Weil normalerweise die Eukalyptusstämme für die Didgeridoos von Termiten ausgehöhlt werden, das aber im Allgäu so nicht funktioniert und sie somit selbst Termiten spielen müssen, haben sie sich diesen eigenwilligen Namen gegeben.
Die Obertermite quasi ist ein quirliger Ur-Allgäuer mit funkelnden Augen und grauem Rauschebart. Auf einer Berghütte könnte man sich den Pfrontener Adi Köpf weit eher vorstellen als beim Didgeridoobauen. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit baut er seit einigen Jahren im Keller seines Hauses mit Vorliebe Didgeridoos. „Merkwürdigerweise hat mir das Alphorn nie sonderlich viel bedeutet“, erklärt der kleine Mann und zeigt stolz auf sein längstes Ur-Instrument: „Ich habe irgendwann einmal den faszinierenden Klang eines Didgeridoo gehört, und das hat mich nicht mehr losgelassen.“
Es hat dann freilich noch Jahre gedauert, bis der handwerklich äußerst geschickte Bienenzüchter ein alterndes Bäumchen draußen bei seinem Bienenhaus umgemacht und ausgehöhlt hat. „Bei uns gibt’s keine Eukalyptusbäume. Also habe ich eine Mooskiefer genommen, auch Moorspirke genannt“. Es ist eine mühevolle Arbeit, die sich die australischen Aborigines bequemerweise von den Termiten erledigen lassen. Der Füssener Masseur Roland Hutner kennt von mehreren Reisen her Australien, und er kennt die Aborigines. Und er sieht durchaus Ähnlichkeiten zwischen den australischen Ureinwohnern und dem Ur-Allgäuer Adi Köpf. „Also, wenn ich da einen Aborigine daneben hinstelle, sehen die sich ähnlich, als ob es Zwillingsbrüder wären.“
Hutner, im Nebenberuf Didgeridoo-Lehrer an der Volkshochschule Füssen und Didgeridoo-Atem-Therapeut, freut sich über den regen Zulauf zu den Kursen, und er schwärmt vom „ältesten Instrument der Erde“. Rund 40.000 Jahre alt ist nach seinen Worten das Didgeridoo, und er sieht sehr wohl Ähnlichkeiten mit dem Allgäuer Alphorn. Von den Aborigines, den Ureinwohnern Australiens, wird es zur Begleitung von Tanz und Gesang ebenso verwendet wie bei Heilungsritualen. Auch bei uns, so Hutner, findet das Didgeridoo immer häufiger Anwendung in der Therapie. Die heilende Wirkung des Didgeridoospiels beruhe darauf, dass durch die besondere Klangcharakteristik und die Zirkuläratmung ein Zustand tiefer Entspannung erreicht werde.
Beim Treffen in Adi Köpfs kleiner Werkstatt stoßen noch einige Kursteilnehmer von den Didgeridookursen dazu. Jeder schnappt sich einen dieser ausgehöhlten Baumstämme, die zwischen 1,40 und 3,34 Meter lang sind, und dann blasen sich die Mannsbilder langsam warm. „Ja, ja – ich weiß. Das klingt am Anfang schon reichlich komisch“, lacht der junge Simon Hechenberger, der sagt, er sei sich im Klaren darüber, dass Didgeridoospielen zunächst mehr nach den Folgen einer Magenverstimmung als nach Musik klinge.
Aber wenn sie dann ihren Grundton gefunden haben und losblasen, gibt es sogar so etwas wie Rhythmus. „Ich habe zuerst einen Anfänger-, dann gleich einen Fortgeschrittenenkurs belegt“, erzählt der Küchenchef Andi Carlé, den es vor zwanzig Jahren ins Allgäu verschlagen hat und der ebenso fasziniert ist von den Didgeridoos von Adi Köpf wie der angehende Allgäu-Termit Holger Fark. Er hat in der Augsburger Fußgängerzone einen Didgeridoospieler gehört und war fortan begeistert von diesem langen Holzrohr.
Adi Köpf ist der Einzige in der Gruppe, der die von allen so geschätzten Blasinstrumente baut. Er führt uns in einen Kellernebenraum und zeigt einige ausgehöhlten und geschälten Baumstämmchen. Ganz eng sind sie mit Expanderspannern umwickelt. An seinem ersten und längsten Didgeridoo – es ist 3,34 Meter lang – hat er über ein Vierteljahr gearbeitet. „Über 50 Schraubzwingen habe ich da gebraucht und immer wieder mit diesen Expandergummis umwickelt, da bleiben keine fünf Zentimeter frei“, erklärt er sein Meisterwerk. Grund dafür sei, dass das Holz enorm arbeite, wenn es ausgehöhlt ist. „Das habe ich mir selbst beigebracht. Keine Ahnung, ob das auch anders geht, aber bei uns gibt’s nun mal keine Didgeridoobaukurse.“
Seine Frau klopft ihrem fröhlich dreinblickenden Handwerker, der mit Filzpantoffeln in seiner Werkstatt arbeitet, auf die Schulter. „Da geht er voll und ganz auf und vergisst alles um sich herum“, erzählt sie. Und sie berichtet auch davon, dass Urlauber immer wieder fasziniert sind vom merkwürdigen Hobby des Allgäuers Adi Köpf.
KLAUS WITTMANN