AFGHANISTAN: DER FRIEDENSPROZESS STEHT VOR DEM KOLLAPS : Dynamit statt Massenbasis
Der Anschlag auf die deutschen Isaf-Soldaten in Kabul war kein Zufall. Al-Qaida und Taliban wollen verhindern, dass Deutschland seinen UN-mandatierten Beitrag zur Friedenssicherung in Afghanistan ausdehnt. Da die große Mehrheit der Afghanen dies jedoch weiterhin wünscht, ist Terrorismus das beste Mittel: Man braucht keine Massenbasis, nur ein paar Kilo Dynamit und ein paar Willige, die sich und andere damit in die Luft sprengen. Dass diese Taktik Erfolg verspricht, zeigen Reaktionen von Hilfsorganisationen und Vereinten Nationen. Nachdem sie vermehrt Ziel solcher Terror-Nadelstiche wurden, haben sie an vielen Orten im südlichen Afghanistan ihre Operationen eingestellt.
Doch Gefahr geht auch von den Warlords aus, besonders aus der Pandschiri-Fraktion. Sie kontrollieren die wichtigsten Ministerien, darunter das für Verteidigung. Dass die USA sie als Alliierte in ihrem Kampf gegen das Taliban-Regime benötigten, hat ihre Stellung nur gefestigt. Nun weigern sie sich, ihre Monopolstellung zugunsten einer politisch ausgewogeneren Regierung aufzugeben.
Beide Gefahren kombiniert sorgen dafür, dass der Friedensprozess in Afghanistan wieder einmal auf Messers Schneide steht. Präsident Karsai drohte mit Rücktritt, weil Warlords die für die Staatsfinanzen wichtigen Zolleinnahmen zurückhalten. Japan sieht ohne deren Entwaffnung die Wahlen 2004 gefährdet. Und für die UNO ist ohne Reform des Verteidigungsministeriums eine Entwaffnung unmöglich. Sogar ein Abzug aus Afghanistan scheint nicht mehr undenkbar.
Den Zusammenbruch des Friedensabkommens verhindert nur vermehrtes Engagement der internationalen Gemeinschaft. Verteidigungsminister Fahim muss Druck bekommen, die Wiederaufbauhilfe muss Fortschritte zeigen. Wird Afghanistan hingegen wieder allein gelassen, brechen alle positiven Ansätze der letzten 18 Monate ab, denn von einer inneren Stabilität des Landes kann noch keine Rede sein. Es könnte sich schnell wieder in das verwandeln, was es vor dem 11. September 2001 war: ein Drogen- und Terrorstaat, nur ohne Taliban. JAN HELLER