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Archiv-Artikel

Stahl macht den Metallern was vor

35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Stahlindustrie wird schrittweise bis 2009 eingeführt. Metall-Arbeitgeber geißeln den Abschluss. Streiks in Sachsen werden diese Woche in neun Betrieben weitergeführt. Vier Haustarifverträge abgeschlossen

von BARBARA DRIBBUSCH

In Streikzeiten wird stahlhart gekämpft. Das musste auch Sieghard Bender erfahren, Streikleiter der IG Metall in Chemnitz. Der mit einem IG-Metall-Aufkleber versehene VW Golf, mit dem Bender in der letzten Woche zu einer Streikaktion angereist war, wurde kurzerhand abgeschleppt. Angehörige eines benachbarten, nicht bestreikten Betriebs hatten das Metaller-Fahrzeug im Parkverbot gesichtet und umgehend die Polizei informiert. „Die haben die wilde Sau gemacht“, sagt Bender grimmig. Nicht überall wird einem ostdeutschen Gewerkschafter dieser Tage Solidarität entgegengebracht.

Die Streiks in der ostdeutschen Metallindustrie gehen in dieser Woche in die zweite Runde. Der Konflikt um die 35-Stunden-Woche in der Stahlbranche dagegen wurde in der Nacht zum vergangenen Samstag beigelegt. Für die 8.000 ostdeutschen Stahlkocher vereinbarten die Verhandlungsführer der IG Metall und der Stahl-Arbeitgeber ein stufenweises Absenken der Wochenarbeitszeit von heute 38 auf 35 Stunden in einem Zeitraum bis zum Jahre 2009.

„Wir mussten abschließen, weil der Streik uns dazu gezwungen hat“, sagte freimütig Stahl-Arbeitgebervertreter Volker Becher. In dem Stahl-Abschluss wurde allerdings auch eine so genannte Revisionsklausel vereinbart. Danach können die Tarifparteien eine Verschiebung der Arbeitszeitverkürzung aushandeln, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen gravierend verschlechtern. Können sich die Tarifparteien nicht auf eine Verschiebung einigen, wird ein Schiedsverfahren eingeleitet.

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer geißelte die Stahl-Einigung als „Tarifabschluss einer anderen Welt“, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sprach gar von einem „erpressten“ Kompromiss. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche wird in dieser Woche nun für die 310.000 Beschäftigten in der ostdeutschen Metallbranche weitergeführt, neun Betriebe in Sachsen werden bestreikt. In der vergangenen Woche hat- ten insgesamt 12.600 Beschäftigte sowohl in der Stahl- als auch in der Metallbranche gestreikt.

Die Metall-Arbeitgeber hatten der IG Metall angeboten, über eine Angleichung der Arbeitszeit an den Weststandard zu verhandeln, wollten diese Angleichung aber an ökonomische Daten wie Produktivität und Auftragslage koppeln. Die Gewerkschaft hatte die Gespräche daraufhin im Mai abgebrochen.

In vier Metall-Unternehmen in Ostdeutschland wurden inzwischen mit der IG Metall Haustarifverträge abgeschlossen, die die Angleichung der Arbeitszeit von 38 Stunden an die 35-Stunden-Woche vorsehen. Im Haustarifvertrag des sächsischen Unternehmens Buderus Heiztechnik in Neukirchen wurde vereinbart, bis zum Jahre 2007 die 35-Stunden-Woche einzuführen. Allerdings kommt die Absenkung nur, wenn der Betrieb ein bestimmtes Arbeitsvolumen erreicht.

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