piwik no script img

Archiv-Artikel

Schalt schon mal den Vibrator an

Man könne sich doch mal was gönnen, zwei Frauen, mit oder ohne Silikon, wie wär’s, und gar nicht teuer

aus Berlin STEFAN KUZMANY

Einer der Teilnehmer hat jetzt mal eine Frage. Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig. Ganz vorne rechts in der ersten Reihe sitzt er und wartet geduldig auf das Mikrofon. Es sei ihm da etwas aufgefallen: nämlich zum Samen. Ist der Begriff Samen nicht falsch? Samen, das ist doch eigentlich das, was nach der Befruchtung aus der Pflanze herausfällt. Müsste man nicht korrekterweise immer von Spermien sprechen? „Das ist so eine Frage, die mir vor ein paar Wochen gekommen ist.“ Nur kurz scheint der Referent etwas irritiert. Dann sagt der Mann im roten T-Shirt, Reiner Neutzling, Schriftsteller und Soziologe aus Köln: „Gut, dann schlage ich vor, wir starten von hier aus eine Kulturrevolution und sprechen nur noch von Spermien.“ Freundlicher Applaus aus dem Publikum.

„Fachtagung Männer und Sex(ualität)“ der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Über den Dächern der Hackeschen Höfe in Mitte sollen an diesem Freitag und Samstag, so steht es im Programm, „Fühl-, Denk- und Freiräume“ entstehen.

Erste Überraschung: Es sind viele Frauen gekommen. Als der Berliner Männerforscher Willi Walter mit wallender schwarzer Mähne zu einem Begrüßungsspiel auffordert (er nennt das dann „Vorspiel“), bei dem die ungefähr sechzig Teilnehmer durch den Raum schlendern und dann in Dreiergruppen um im Raum verteilte Stühle stehen bleiben sollen, da findet sich in fast jeder dieser Dreiergruppen eine weibliche Interessierte. Auf jedem Stuhl befindet sich ein „erotischer Gegenstand“, der mit einem bunten Tuch verhüllt ist. Das sollen die Teilnehmer lüften und sich über die Gleitcremes, Vibratoren und Cockringe austauschen, die da jetzt zum Vorschein kommen.

Es ist extra eine Sexshopbetreiberin aus Prenzlauer Berg gekommen und hat alles mitgebracht, was Männern so Spaß macht. In einem Glaskasten an der Seite des Tagungsraums hat sie ihre Gerätschaften auf einer Theke aufgebaut. Während sie einfühlsam erzählt, wie die beiden schwarzen Gummiringe des Vibrators über die Hoden geschoben werden sollten, damit die vibrierende Einheit auch an der richtigen Stelle sitzt, kommt ein junges Paar in den Glaskasten. Die Frau zieht ihren Partner an der Hand hinterher und sagt: „Jetzt stell dich nicht so an, ich bin doch dabei!“ Und wie die Sexshopbesitzerin den interessierten Besuchern gerade vorführt, welch erstaunliche Vibrationskraft die stufenlose Kabelfernsteuerung freisetzt, kann man sich ein paar Gedanken darüber machen, warum es wohl so ist, dass es meist die Frauen sind, die ihre Männer dazu bringen müssen, über Sex zu sprechen, also über Probleme oder Schönes beim und mit dem Sex.

Seit der Erfindung der Pille haben sich die Männer aus dem Geschäft der Verhütung zurückgezogen, was in linken Beziehungszusammenhängen zu viel Zoff und auch ungewöhnlichen Maßnahmen geführt hat. Neutzling, der Soziologe, berichtet von zwanzigjährigen jungen Männern der 70er-Jahre, die gruppenweise mit den anderen Jungs aus der WG in den Arztpraxen vorsprachen, um dort mit einer Sterilisation ihre Verhütungs- und Beziehungsprobleme zu lösen. Später, Mitte der 80er-Jahre, hat Reiner Neutzling dann ein Buch geschrieben: „Die Prinzenrolle“, seither ein Standardgeschenk junger Frauen an ihre Männer, die sich bei der Lektüre darüber klar werden sollen, was und wer sie eigentlich sind.

„Die Prinzenrolle“, so heißt auch Neutzlings Vortrag auf der Tagung. Wie schon in seinem Buch reiht Neutzling auf amüsante Weise Klischees über das Geschlechterverhältnis aneinander. In der anschließenden Diskussion muss er sich vom Publikum dafür kritisieren lassen, dass er erstens von einem heterosexistischen Weltbild ausgehe (schließlich hat er sich nur auf Mann-Frau-Beziehungen bezogen) und dass zweitens bei seinem Vortrag ja nichts wirklich Neues dabei gewesen sei.

Wirklich neu war für einige Teilnehmer offenbar, was Andreas Goosses, Männerberater sowie Männergruppenleiter aus Berlin, aus der Praxis zu berichten hatte. Wenn man ihn darüber sprechen hört, dass Männer nicht öffentlich über ihre Sexualität reden wollen, dann kann man einen Eindruck bekommen von der Sprache, die da zunächst kompliziert gefunden und später auch gesprochen wird. Wenn sie sich dann austauschen, die Männer, etwa darüber, dass sie bei der Masturbation nicht erwischt werden wollen und es deshalb heimlich, still und schnell machen. Oder darüber, dass Männer Probleme haben, sich selbst schön zu finden, weil sie dann ganz schnell Angst haben, vielleicht schwul zu sein. Die Männergruppenarbeit ist von der Frauenbewegung angestoßen worden – die potenziellen Vergewaltiger sollten sich ihrer Natur bewusst werden. Goosses kennt das Datum des ersten Männergruppentreffens noch genau: 22. Februar 1975 in Berlin.

Männer wollen bei der Masturbation nicht erwischt werden, machen es heimlich und schnell

Christiane Howe, Soziologin in Frankfurt, hat untersucht, warum Männer und was für Männer zu ausländischen Prostituierten gehen. Sie hat zwar leider nur fünfzehn Gesprächspartner gefunden, aber ihr Referat ist trotzdem sehr aussagekräftig. Es ist ein Bericht über die Entstehung ihrer Forschungsarbeit, blockiert zunächst von Männern, die sie nicht finanzieren wollten (bis das Frauenministerium einsprang). Blockiert dann von den Forschungsobjekten selbst: Vielfach waren die Männer nur gegen Bezahlung bereit, über ihre Erfahrungen mit der käuflichen Liebe zu sprechen. Howe hat dennoch herausgefunden: Wichtig ist das Einfühlungsvermögen der ausländischen Sexarbeiterinnen (die deutschen sind zu kommerziell). Motivation für den Mann ist die passive kindliche Rolle, die er bei der Prostituierten einnehmen kann.

Solche Hilfe braucht Daniel Schneider nicht, in den letzten Kriegstagen geboren, Doktor der Pädagogik, blind, in ein transparentes schwarzes Kleidchen gehüllt. In seiner Performance berichtet er im Sprechgesang vom Schweißgeruch seines schwulen Mitbewohners und von einer neuen Bekanntschaft, mit der er erst später festgestellt habe, dass man sich schon länger kenne: Man habe sich doch mal gegenübergestanden auf der größten Orgie von Berlin, im so genannten Pissbecken. Und er spricht von den politisch bewegten Schwulen der 70er-Jahre, die sich damals in Diskussionen mit den unterdrückten Frauen solidarisierten, nur um sich abends einen möglichst ungehobelten Macho fürs Bett zu suchen.

Es ist spät geworden, draußen in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte tobt das Abendvergnügen, und unten auf der Straße, keine fünfzig Meter vom Tagungsort entfernt, steht eine junge hübsche Frau und fragt, was man denn noch so vorhabe. Man könne sich doch mal etwas gönnen, zwei Frauen mit oder ohne Silikon, davor noch eine kleine Lesbenshow, wie wär’s, und gar nicht teuer. Aber es ist schon spät, morgen geht’s wieder früh los und um die Frage: „Macht Spüli impotent?“