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Archiv-Artikel

„Wir wollen nicht in die Talkshows“

Die Union Progressiver Juden soll vom Staat ebenso unterstützt werden wie der Zentralrat, fordert ihr Vorsitzender Jan Mühlstein

taz: Herr Mühlstein, seit dem Holocaust werden die Juden in Deutschland einheitlich vom Zentralrat vertreten. Warum wollen Sie das ändern? Jan Mühlstein: Weder ich noch die Union Progressiver Juden in Deutschland wollen daran etwas ändern. Es geht im Augenblick darum, wie die liberalen Gemeinden an dem im letzten Jahr geschlossenen Staatsvertrag beteiligt werden. Diese Zuschüsse bekommt allein der Zentralrat, obwohl es der Wille des Bundestags ist, dass diese Mittel der gesamten jüdischen Gemeinschaft zugute kommen. Der Zentralrat beteiligt und vertritt uns nicht.

Warum treten die liberalen Gemeinden nicht bei?

Das haben wir versucht, aber der Zentralrat hat aus formalen Gründen die Anträge zurückgewiesen.

Laut Süddeutscher Zeitung könnten Ihnen 90.000 Euro aus der Staatskasse zustehen. Wollen Sie wegen dieser Summe die Spaltung des deutschen Judentums riskieren?

Diese Summe ist reine Spekulation und errechnet sich wohl aus dem Verhältnis unserer 3.000 Mitglieder zu den 100.000 Mitgliedern in den Zentralratsgemeinden. Wir haben unsere Erwartungen beziffert; sie sind nicht unangemessen. Es hat aber wenig Sinn, Zahlen in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Sie erhalten doch Unterstützung, beispielsweise aus den USA. Brauchen Sie wirklich Geld?

Wir sind Mitglied der World Union for Progressive Judaism und werden von dort auch unterstützt. Es geht aber um Gleichbehandlung. Durch unsere bundesweiten Aktivitäten geben wir liberalen Juden die Möglichkeit, ihre Religion auszuüben. Wir leisten, auch bei der Integration der Zuwanderer, die gleiche Arbeit wie die Zentralratsgemeinden. Warum sollten wir dafür in den USA Spenden sammeln gehen, während andere staatliches Geld bekommen?

Nach Ihnen kommen vielleicht andere. Ihre Forderungen könnten der Anfang vom Zerfasern des deutschen Judentums sein.

Wir sind keine beliebige Gruppe. Unsere Mitglieder zahlen Beiträge und sind aktiv. Unsere Gemeinden leben. Wir schätzen, dass es auch nicht mehr als 3.000 praktizierende Orthodoxe gibt, viele der Mitglieder der Zentralratsgemeinden sind doch nur nominell dort drin. Also Vorsicht mit Größenvergleichen.

Trotzdem: Hat die Einheit für Sie keinen Wert?

Sie ist auch ein religiöser Wert. Aber das Judentum ist grundsätzlich pluralistisch verfasst. Die Einheit kann man in unterschiedlichen Organisationsformen erreichen. In den Niederlanden und in Großbritannien gibt es auch keine Einheitsorganisation und dennoch Wege, die jüdischen Interessen nach außen gemeinsam zu vertreten. So wäre das auch hier vorstellbar.

Vielleicht braucht Deutschland eine einheitliche Stimme des Judentums.

Sicher. Aber ob es eine einheitliche Organisation weiter geben kann, hängt vom Zentralrat ab. Wir sind zur Integration bereit.

Paul Spiegel hat als Präsident des Zentralrats auch eine gewisse Macht. Möchten Sie etwas davon abhaben?

Keineswegs. Unser einziges Interesse ist es, unseren Mitgliedern ein religiöses Leben in der vor 200 Jahren hier entstandenen liberalen jüdischen Tradition zu ermöglichen. In die Talkshows wollen wir nicht.

Was wollen Sie dann?

Die Union will eine schnelle pragmatische Lösung. Wir würden jede Einigung mit dem Zentralrat begrüßen, aber das ist wohl unwahrscheinlich, wenn ich die Äußerungen von Paul Spiegel lese. Deshalb spricht alles dafür, dass wir eine eigene staatliche Förderung anstreben müssen. INTERVIEW: DANIEL SCHULZ