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Archiv-Artikel

Schröder will Tacheles reden

Im Streit um staatliche Fördermittel für Juden geht es auch um den Alleinvertretungsanspruch des Zentralrats der Juden in Deutschland

VON LUKAS WALLRAFF

Es war eine der wenigen unbestrittenen Erfolgsgeschichten der zweiten Amtszeit von Rot-Grün. Als Gerhard Schröder vor gut einem Jahr den „Staatsvertrag“ mit Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, abschloss, durfte er sich ausnahmsweise über Lob von allen Seiten freuen. Überschwänglich war von Versöhnung und Vertrauen die Rede. Der Staat stockte die Zuschüsse für die Juden auf, Spiegel dankte herzlich (siehe Kasten).

Inzwischen ist die Euphorie verflogen. Wenn sich Schröder morgen Mittag im Kanzleramt mit Spiegel trifft, geht es nicht mehr um Nettigkeiten. Es wird Tacheles geredet. Schröder will erreichen, dass der Zentralrat einen Teil der jährlich 3 Millionen Euro Fördergelder an die unabhängigen liberalen jüdischen Gemeinden abgibt, die nicht dem Zentralrat angehören. Die Union Progressiver Juden hatte protestiert, weil ihre 14 liberalen Gemeinden mit etwa 3.000 Mitgliedern bisher keinen Cent bekommen haben. Der Sprecher der Union, Jan Mühlstein, kündigte an, nur noch das Gespräch zwischen Schröder und Spiegel abwarten zu wollen. Sollte es zu keiner Lösung kommen, die den Liberalen Unterstützung sichert, will er wegen Benachteiligung gegen die Regierung klagen (siehe Interview).

Einen solch heiklen Rechtsstreit möchte Schröder unbedingt vermeiden. Ihm graut vor Schlagzeilen wie „Juden klagen gegen Deutschland“. Deshalb scheint er bereit, etwas zu tun, wovor er und seine Vorgänger bisher immer zurückscheuten: Er greift ein in den Kampf um Macht und Geld unter den Juden in Deutschland. Darf er das?

Der Zentralratspräsident sagt: Nein. „Eine Mitwirkung oder Einflussnahme durch den Staat ist unzulässig“, schrieb Spiegel in einem Leitartikel der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Der Staatsvertrag sei mit dem Zentralrat abgeschlossen worden, argumentierte er, folglich könne der Zentralrat auch über die darin festgelegten Zuschüsse verfügen – und sonst niemand. „Weder der Deutsche Bundestag noch die Bundesregierung, die Justiz oder einzelne Abgeordnete“, so Spiegel, „haben darüber zu befinden, wer oder was eine Jüdische Gemeinde ist und wie sich der jüdische Pluralismus zu definieren hat.“

Bei dieser Haltung ist Spiegel geblieben, obwohl es auch in den eigenen Reihen Kritik gegeben haben soll und obwohl der Innenausschuss des Bundestags den Willen aller Fraktionen deutlich machte, dass die Union Progressiver Juden einen Betrag aus dem Staatsvertragsgeld bekommen sollte, der ihrem Anteil am „organisierten Judentum“ entspricht. Das wären, grob gerechnet, etwa drei Prozent und somit etwa 90.000 Euro. Kann das wirklich ein Problem sein? „Ich habe damit kein Problem“, sagte Spiegel der Süddeutschen Zeitung, „aber nicht auf Kosten der im Zentralrat organisierten jüdischen Gemeinschaft von über 100.000 Juden in Deutschland.“ Wenn die Union Progressiver Juden eine eigene Bundesförderung erlangen wolle, müsse sie „einen eigenen Staatsvertrag anstreben“.

Vor dem Gespräch mit Schröder holte sich Spiegel die „volle Unterstützung“ des Zentralratsdirektoriums. Einstimmig wurde eine Erklärung verabschiedet, die klar macht, worum es im Grunde geht: „Das Direktorium des Zentralrats bekräftigte den Alleinvertretungsanspruch des Zentralrats für alle in Deutschland lebenden Juden.“

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hat – „bei allem Respekt vor dem Zentralrat“ – diesen Alleinvertretungsanspruch zurückgewiesen. Ein Novum. Seit dem Krieg war es eine Selbstverständlichkeit, dass der Zentralrat für die Juden spricht. Das Wort seines Präsidenten zählte auch deshalb so viel, weil die in Deutschland lebenden Juden ihre internen Konflikte zurückstellten. Diese Einheit aufrechtzuerhalten ist erheblich schwieriger geworden, seit immer mehr Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kommen, die entweder keine oder andere religiöse Bindungen haben als die Mehrheit der bestehenden Gemeinden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Schärfe, mit der Spiegel auf die Forderungen der Liberalen reagiert, denen er „Verleumdungen“ vorwirft. Entgegen deren Behauptungen sei der Zentralrat offen für alle Strömungen des Judentums, ob orthodox oder liberal, sagt Spiegel. Konkurrenzgemeinden seien also nicht nötig, geschweige denn anspruchsberechtigt.

Das „gleichberechtigte Nebeneinander“, von dem Spiegel spricht, gibt es tatsächlich – in manchen Gemeinden. In Berlin etwa können sich Juden aussuchen, ob sie einen orthodoxen oder liberalen Gottesdienst (ohne Trennung von Frauen und Männern) besuchen möchten. In der Jüdischen Gemeinde zu Berlin haben die Liberalen sogar die Mehrheit. Für den Zentralrat offiziell kein Problem, da alle unter seinem Dach agieren und sich nach außen von ihm vertreten lassen. In anderen Regionen jedoch, etwa in München, haben liberale Juden wie Mühlstein eigene Gemeinden gegründet, weil sie, wie sie sagen, keine Chance bekamen, in den orthodox geprägten Zentralratsgemeinden liberale Gottesdienste durchzuführen. Diesen Konflikt gibt es schon lange – nun ist er durch den Streit um die Verteilung der Gelder aus dem Staatsvertrag zum Politikum geworden.