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Archiv-Artikel

Die Feuertaufe

Demokratisch die Bogen streichen: Die Bratschistender Berliner Philharmoniker proben die Eigenständigkeit

Noch ist es ein ungewohntes Gefühl, mit einem Bogen zu streichen, dessen Haare ohne Kolophonium auf der Saite nicht greifen. Selbst für einen alten Hasen von den Berliner Philharmonikern. Analog zu ihren berühmten Kollegen, den „12 Cellisten“, emanzipieren sich jetzt auch die Violaspieler des Berliner Philharmonischen Orchesters zu einem eigenständigen Ensemble. Heute geben sie ihr Debüt im Kammermusiksaal. Im Zentrum dieses Konzerts steht eine Uraufführung von Brett Dean. „Testament“ heißt diese erste Originalkomposition für 12 Bratschen, in der Motive aus dem langsamen Satz von Beethovens Streichquartett op. 59/1 aufblitzen. Der Komponist hat vorgesehen, dass jeder Spieler über zwei Bögen verfügt, von denen einer frisch behaart sein soll. Denn das Stück setzt sich mit Beethovens Verstörtheit, der Sorge taub zu werden, auseinander. Wenn der Bogen nur über die Saite wischt, entsteht ein fahler Klang.

Um sich als ein den „12 Cellisten“ vergleichbares Ensemble zu etablieren, ist die Zeit allerdings noch nicht reif. Schließlich befindet sich die Gruppe, die bislang erst ein Mal in Burgund öffentlich aufgetreten ist, noch in der Aufbauphase. Der entscheidende Impuls für das Experiment, ein eigenständiges Team zu bilden, kam übrigens von außen: Raimund Trenkler, Leiter der Kronberg Academy, wünschte sich ein Ensemble zu seinem zweiten Viola-Fest im Taunus. Bislang ist allerdings unklar, ob es nach diesem Festival-Auftritt überhaupt weitergeht. Zumal die Gruppe – das jüngste Mitglied ist 28, das älteste 57 – im Umbruch ist. Von insgesamt 16 Orchester-Stellen sind derzeit drei vakant. Zudem können zwei Stimmführer bei der Feuertaufe nicht mitmachen. Stellvertretend für sie verstärken eine Nachwuchs-Stipendiatin der Orchesterakademie und Brett Dean höchstselbst die zwölf. Trotz ungewisser Zukunft sind sich alle einig, dass es schade wäre, wenn das Projekt eine Eintagsfliege bliebe. Man kann sich schon vorstellen, weitere Auftragswerke in Arbeit zu geben, wenn das Berliner Debüt und der Auftritt in Kronberg ein Erfolg werden.

Die derzeitige Literatur für mehrere Violen ist gar nicht so dürftig, wie sich vielleicht annehmen ließe. Gordon Jacob, York Bowen, Kenneth Harding oder Max von Weinzierl schrieben Stücke für vier bis acht Stimmen. M. Fischer und Oliver Tepe haben Werke von Telemann und Rossini für mehrere Violen bearbeitet. Die „Philharmonischen Bratschen“ besetzen sie chorisch. Dabei darf von Stück zu Stück reihum jeder einmal in Führung gehen. Im Gegensatz zu ihren „12 Cellisten“-Kollegen stellen sie keine Hackordnung auf. Man gebe sich „demokratisch und tolerant“, sagt Neithard Resa, der sich um das Management kümmert. KIRSTEN LIESE

Heute, 20 Uhr, Kammermusiksaal