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Archiv-Artikel

„Ein Ausländerrecht, das Hochqualifizierte ins Land lässt“

Sachsens Wissenschaftsminister Matthias Rößler entdeckt auf einer Vietnamreise die Mängel des deutschen Rechts. Ohne Zuwanderung ist die Ingenieurlücke nicht zu schließen

taz: Herr Rößler, Sie haben eine Reise nach Vietnam unternommen, um die dortige Intelligenzija als Studierende anzuwerben. Gibt es in Deutschland nicht genug intelligente Studis?

Matthias Rößler: Selbstverständlich gibt es die. Wir bemühen uns dennoch um qualifizierte und gut vorbereitete Studienbewerber aus dem Ausland. Wir sind ein weltoffenes Land.

Warum tun Sie das ausgerechnet in Vietnam?

Rund 7.000 vietnamesische Akademiker haben in der DDR studiert, über die Hälfte von ihnen in Sachsen. Dazu kommen noch 70.000 Vertragsarbeiter, die schon in Deutschland waren. In den Familien herrscht eine tief verwurzelte Wertschätzung für Deutschland. Unser Land wird hier mit traditionellen Tugenden wie Fleiß, Arbeitsamkeit, Pünktlichkeit regelrecht idealisiert.

Aha. Wie drückt sich das aus?

Die ehemaligen Gaststudenten empfehlen ihren Kindern, wieder in Deutschland zu studieren. Wir treffen auf Partner, die unsere Hochschulen bestens kennen.

Stört die Vietnamesen gar nicht, dass die DDR vom Sozialismus ab- und dem Kapitalismus anheim gefallen ist?

Wir haben fast ausschließlich Ingenieure und Naturwissenschaftler getroffen …

und die sind wohl keine Kommunisten?

Das ist uns relativ egal. Es geht nur um das Studium. Ich habe Gespräche mit drei vietnamesischen Ministern geführt, die für Bildung und Forschung zuständig sind. Das Interesse, mit Deutschland zu kooperieren, war geradezu überwältigend.

Dennoch fragen sich viele: Warum wirbt man ausländische Studierende an, wo doch die deutschen Unis jetzt schon nicht genug Dozenten haben?

Wir suchen die Erststudierenden ja hauptsächlich für die Maschinenbaufakultäten und die Naturwissenschaften. Da ist die Überlast nicht so stark, es besteht sogar Bedarf an Studienbewerbern. Und dieser Mangel wird sich noch vergrößern. Alle Prognosen sagen bei Ingenieuren ein Defizit von 40 Prozent voraus. In einigen Jahren werden gute Ingenieure mit Gold aufgewogen. Im Übrigen gibt es auch andere Wege des Anwerbens.

Welche sind das?

Ich bin nach Hanoi gekommen, um die Lizenz für das Vietnamesisch-deutsche Ausbildungs- und Forschungsinstitut entgegenzunehmen. Die TU Dresden bietet zusammen mit der Universität Hanoi vor Ort deutsche Studiengänge an – und kann sehr genau herausfinden, wer gern nach Deutschland gehen will und dabei erfolgreich sein wird.

Ist es nicht menschlich ein Problem, vietnamesische Vertragsarbeiter auszuweisen – und gleichzeitig so genannte Hi Potentials aus Vietnam anzuwerben?

Wir benötigen endlich ein Ausländerrecht, das genau die Leute ins Land lässt, die wir brauchen. Das soll auch keine Einbahnstraße sein. Vietnam gewinnt Spezialisten – und wir wollen diesen oder jenen Wissenschaftler für unsere Max-Planck- und Fraunhofer-Institute oder die Wirtschaft holen.

Verschreckt eigentlich die in Deutschland fast überall bevorstehende Einführung von Studiengebühren Bewerber?

Das Problem sind eher die hohen Lebenshaltungskosten in Deutschland. Und die Frage der Betreuung.

Was heißt das?

Wir haben noch Nachholbedarf gegenüber etwa australischen Unis, die eine Art Rundumbetreuung anbieten. Es geht um die Unterstützung der Gaststudenten in allen Lebenslagen, um die Möglichkeit, schnell jene Probleme zu lösen, die in der Fremde auftreten können.

Die vietnamesischen Studierenden nennen aber fast immer die Abwesenheit von Gebühren als Attraktion für das Studium.

Wenn die Gebührenfrage so wichtig wäre, dann müssten die Studenten die USA, England und Australien regelrecht meiden. Das Gegenteil ist der Fall.

Ein wichtiges Hindernis ist die Sprache: Es gibt in Vietnam zu wenig Möglichkeiten, Deutsch zu lernen.

Das stimmt, und ich habe mit den Verantwortlichen darüber gesprochen, ob man nicht bereits in den Schulen verstärkt Deutsch anbieten sollte. Der vietnamesische Bildungsminister war Feuer und Flamme für diese Idee. Deutsche Lehrer könnten als Muttersprachler hierher kommen. So ein Austausch von Lehrern steht und fällt mit der Unterstützung des Bundes, um den Aufenthalt deutscher Lehrer in Vietnam fördern und finanzieren zu können. INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER