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Archiv-Artikel

„Metallica sind doch ein Witz“

„Wie bin ich plötzlich zu diesem Arschloch geworden?“

Interview ARNO FRANK und THOMAS WINKLER

taz: Herr Ulrich, die US Army soll Metallica-Songs verwendet haben, um irakische Kriegsgefangene zu zermürben. Hatten die Irakis Glück, dass „St. Anger“ erst nach dem Krieg erschienen ist?

Lars Ulrich: Es wurde berichtet, dass „Enter Sandman“ verwendet wurde. Also wirklich: „Enter Sandman“ ist ein verdammter Popsong, ein eher aufbauendes Lied. Da gäbe es doch ganz andere Möglichkeiten für die Army: Wie wäre es mit diesen norwegischen Death-Metal-Bands oder einer dieser altmodisch durchgeknallten deutschen Extrem-Bands wie Kreator? Metallica da zu verwenden ist doch eher ein Witz. Das stört mich natürlich, ich will nicht in diese Scheiße hineingezogen werden. Niemand im Irak ist mir jemals auf die Nerven gegangen, ich habe kein Problem mit irgendjemandem im Irak.

Haben Metallica politische oder soziale Verantwortung?

Ich will da nicht den Schwanz einziehen, aber ich sehe einfach nicht die Zusammenhänge zwischen Rock und Politik. Ich will nicht respektlos sein gegenüber Leuten wie Bono von U 2, aber: Habe ich politische Ansichten? Natürlich. Könnte ich die nächste Dreiviertelstunde über den Krieg sprechen? Natürlich. Aber es wäre nicht in Ordnung, Metallica als Plattform für so etwas zu verwenden. Es gibt heutzutage ein übertriebenes Interesse an den Meinungen Prominenter: Weil man berühmt ist, muss man anscheinend besonders interessante Sachen zu sagen haben. Ich glaube eher, dass die meisten Berühmtheiten weniger interessante Sachen zu sagen haben als andere Menschen, weil die meisten Prominenten verdammt dämlich sind.

Wo wir gerade beim Thema sind: Sie sammeln Cezannes, leben in großen Villen, fahren dicke Autos …

Dicke deutsche Autos übrigens. Es gibt keine besseren.

Woher kommt der Zorn aus dem Titel des neuen Albums, wenn man so ein Leben führt?

Mach doch einfach die Augen auf. Ich kann problemlos innerhalb der nächsten zehn Sekunden etwas finden, über das ich mich tierisch aufregen könnte. Dicke deutsche Autos sind nicht gleichbedeutend mit Glück. Dicke deutsche Autos bedeuten Bequemlichkeit, und es gibt einen große Unterschied zwischen Bequemlichkeit und Glück. Bequemlichkeit kann man mit Geld kaufen, Glück nicht. Ich habe zwei Jahre lang von Thunfisch aus der Dose gelebt. Mein Verhältnis zu Geld hat sich nie wirklich verändert. Als ich kein Geld hatte, habe ich nicht wirklich darüber nach gedacht. Finanzieller Erfolg bedeutet Freiheit. Aber zu glauben, diese Freiheit würde den Zorn mildern, ist ein Trugschluss.

Mildert das Alter den Zorn?

Möglicherweise. Wenn man älter wird, weiser wird, Kinder bekommt, wird es zunehmend schwieriger, nicht von der eigenen Lebenserfahrung beinflusst zu werden. Ich bin 39 Jahre alt, und mir geht es gut dabei. Ich bin stolz darauf, so alt geworden zu sein. Wir sind durch schwere Zeiten gegangen, als Jason [Newstedt, Bassist; Anm. d. Red.] uns verlassen hat, als James [Hetfield, Sänger; Anm. d. Red.] seinen Alkoholentzug gemacht hat, da bleibt es nicht aus, dass man erwachsener wird. Das dämmt den Zorn sicherlich eher ein als das Geld.

Wie schwierig ist es, mit Würde alt zu werden im Rockgeschäft?

Wir haben das erste Mal jemanden mit auf Tour, der uns die Arme und Rücken massiert. Aber das ist mittlerweile auch nötig: Unser Job ist körperlich ganz schön anstrengend. Die Rolling Stones sind ja nun schon um die 60 Jahre alt, Gott segne sie. Könnte ich zu „I Can Get No Satisfaction“ mit 60 noch trommeln? Kein Problem. Könnte ich unser altes Speed-Metal-Zeugs mit 60 trommeln? Da bin ich mir nicht so sicher.

Aber es ist schon ein Problem, wenn jemand in dem Alter singt: „I hope I die before I get old.“

Ja klar, die Ironie ist mir nicht entgangen. Aber man muss einfach auch mal bedenken, dass wir alle zusammen einen unerforschten Kontinent entdecken. Rockstars sind nicht dazu konstruiert, alt zu werden. Momentan brechen einige mit der Tradition und werden wirklich alt. Und nun? Nun geht es um Wahrnehmung, um Würde, aber das Urteil ist noch nicht gesprochen.

„St. Anger“ ist ein Album, das so niemand erwartet hätte. Wie kam es dazu?

Es ging darum, die Begleitumstände zu ändern, nicht noch bequemer zu werden. Vier Leute, ein Raum, keine Regeln. Ich habe mich am Computer, an Drum-Loops versucht, James hatte einen Narren an dieser isländischen Band, an Sigur Ros, gefressen. Wir haben haufenweise solches Zeug aufgenommen, teilweise wunderschöne ruhige Sachen, wir hatten unglaublichen Spaß am Experimentieren. Aber im Laufe der Zeit wurden wir ein wenig härter, ein wenig schneller, ein wenig aggressiver.

Ist dafür euer „performance coach“ verantwortlich?

Ja, auch. Zwei Jahre lang haben wir mit ihm über solche Themen gesprochen.

Ist das der Beruf der Zukunft: Band-Psychologe?

Vielleicht. Er nennt sich „Performance Coach“. Er hat zuvor eher für Sportklubs gearbeitet.

Wird daraus demnächst ein Trend?

Wir waren nicht die Ersten. Wir hatten denselben Manager wie Rage Against the Machine und die hat er auch schon beraten, als die ihre Probleme mit Zach de la Rocha hatten.

Stimmt es, dass ihr in San Francisco in einem kleinen Club gespielt habt und dafür noch selber zahlen musstet?

Ja, das war „Pay for Play“. Einen unangekündigten Gig zu spielen ist nicht so einfach, wie man meinen sollte. Also haben wir uns Musik von irgend jemanden aus dem Internet gezogen und daraus ein Demo gemacht, um uns zu bewerben. Nach dem Auftritt meinte der Clubbetreiber, er wolle jetzt 100 Dollar. Wir gaben ihm das Geld.

Ist das die Zukunft des Rockgeschäfts? Die Verkaufszahlen gehen dramatisch nach unten. Sie sind als einer der ersten gegen Napster vorgegangen.

Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Das war ein böser Traum.

Sie sagten sogar als Zeuge vor dem US-Senat aus.

Ich distanziere mich heute nicht inhaltlich davon, aber das war eine wirkliche obskure Phase in meinem Leben. Es lief gerade ganz nett für Metallica und eines Tages wache ich auf und bin der meistgehasste Mensch im Rockgeschäft. Wie bin ich plötzlich dieses Arschloch geworden? Vor allem, als es hieß, Metallica würden für die Plattenfirmen kämpfen. Von welchen Metallica reden die da? Wir haben ausdrücklich erlaubt, dass bei unseren Auftritten Bootlegs mitgeschnitten werden können. Sind wir Kontrollfreaks? Absolut. Möchten wir kontrollieren, was wir wie und wann machen? Ja. Wollen wir nicht, dass Songs im Internet-Radio gespielt werden, bevor sie fertig sind? Ja. Deshalb sind wir gegen Napster vorgegangen, aber wir sind nicht gegen Bootlegs, wir sind keine Anwälte der Plattenfirmen.

„St. Anger“ hätte erst am 22. Juni veröffentlicht werden sollen. Wurde das Album wegen der vielen Raubkopien vorgezogen?

Einige wenige Exemplare des Albums waren wenige Tage vor der Veröffentlichung im Umlauf. Weil wir eine Flut befürchteten, haben wir den Release eben vorgezogen. Es hatte sich ja auch so etwas wie ein Sport entwickelt wegen unserer Geschichte mit Napster: Wer hat das neue Metallica-Album als Erster?

Aber die unglaublichen Sicherheitsmaßnahmen bei „St. Anger“ haben ja nicht verhindert, dass die Platte schon vor dem Veröffentlichungstermin kusierte.

Eine Woche, das ist ein Sieg. Eine Woche, so was war noch nie da. Früher könnte man zwei, der Monate, bevor die Platten in den Laden kam, sie schon im Netz hören. Die CDs kommen aus den Presswerken auf einen Lkw, und von da an ist es nur noch eine Frage von Tagen, bis die Platte im Netz steht. Wenn man bis dahin gekommen ist und so den Abstand zwischen Veröffentlichung und im Netz sein auf vier oder fünf Tage verkürzt, dann ist das die Goldmedaille.

Wie sieht die Plattenfirma der Zukunft aus?

Plattenfirmen werden immer gebraucht: als Bank. Es braucht erst mal Geld, um Musik herstellen und verkaufen zu können. Aber wer vom Aussterben bedroht ist, das sind die Einzelhändler, die großen Ketten genauso wie die kleinen Läden. Wenn die Band oder die Plattenfirma über das Internet direkt an den Kunden verkaufen kann, dann hat der Typ bei Tower Records keinen Job mehr.

Wie war der Videodreh im Gefängnis von San Quentin?

Der gehört zu den beeindruckendsten Erfahrungen in meinem Leben. Die Energie dort ist so zugespitzt. Eine Sequenz des Videos würde direkt vor den Zellen gedreht. Ich sitze da an meinem Schlagzeug mit dem Rücken fast an den Gittern und in den Zellen waren zwei riesige Typen. Der eine hat lebenslänglich ohne Bewährung. Und du sitzt da und unterhältst dich mit denen. Und dann erzählst du dem Wärter, der Typ von 35 C scheint ganz nett zu sein. Ja, sagt der Wärter, ganz nett für einen dreifachen Mörder.

Knastkonzerte haben ja eine lange Tradition: Johnny Cash hat auch schon dort gespielt …

Ja, und Merle Haggard und Bonnie Raitt und Carlos Santana. Aber noch nie hatte jemand einen Video dort gedreht. Aber die haben es erlaubt, wenn wir ein Konzert für die Gefangenen spielen. Und für den Baseballplatz sollten wir spenden.

Pay for Play?

Ja, die Geschichte meines Lebens.