: Der Schoß, aus dem dies kroch
Das Buch „Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis“ gibt erstmals einen Überblick über die „Freien Kameradschaften“ in Norddeutschland
Jede Woche finden irgendwo im Lande Aufmärsche von Neonazis statt. Die NPD, deren Selbstbewusstsein seit dem vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterten Verbot gewachsen ist, hilft bei der Organisation. Die Aktivisten aber stammen vor allem aus lokalen, fünf bis 30 Mitglieder zählenden Gruppen, den so genannten „Freien Kameradschaften“.
160 werden aufgelistet in der ersten Bestandsaufnahme der Szene, dem von Andrea Röpke und taz-Autor Andreas Speit edierten Buch Braune Kameradschaften. Jeweils drei solcher Einheiten haben die AutorInnen in Hamburg und Bremen ermittelt, sechs in Schleswig-Holstein, acht in Niedersachsen: ein Netzwerk von Hardcore-Neonazis.
Mit Verboten ist den Kameradschaften nicht beizukommen. Sie sind gerade entstanden aus der Erfahrung, dass der Verzicht auf feste Strukturen mit Mitgliederlisten und Vereinskassen die Beobachtung durch Verfassungsschutz und Öffentlichkeit erschwert. Auf muffiges Parteileben haben die „Freien Nationalisten“, wie sie sich zu nennen pflegen, ohnehin keine Lust. Sie wollen Action. Und die gibt es reichlich. Der rechte Rand ist so aktiv wie in den 50er Jahren, als die Opas, die keine Mörder gewesen sein wollten, noch lebten.
Überregionale „Aktionsbüros“ koordinieren die verstreuten Zellen. Über Internet und Handy lassen sich so Hunderte auf einen Haufen bringen. Die Bildung von Kameradschaften folgt einem Konzept, das maßgeblich in Hamburg von Christian Worch und Thomas Wulff ausgeheckt wurde. Das von Wulff betriebene Internet-Portal „Aktionsbüro Norddeutschland“ lieferte das Modell für die Vernetzung.
Längst hat sich die braune Szene zu einer Subkultur verfestigt, zu einer Volksgemeinschaft in nuce. Die wesentlichste Rolle bei der Stärkung der „nationalen Identität“ wie bei der Anwerbung spielt die Musik. Die Propagandawaffe ist dabei zugleich Einnahmequelle. Im Ausland produzierte und eingeschmuggelte CDs mit förmlich verbotenen Texten werden zu Zigtausenden unter die Leute gebracht.
Mit 380 Bands, deren „Liedgut“ von 30 Firmen vermarktet und von 50 Zeitschriften beworben wird, ist „Rechtsrock“ das Herz der „Bewegung“. Für Journalisten schwer aufzuklären sind die Verflechtungen militanter Neonazis mit dem Rotlicht-Milieu. Polizei und Staatsanwaltschaft, die derlei Kumpaneien leichter aufdecken könnten, zeigen wenig Interesse.
Schusswaffen oder Sprengstoff gehören außerdem zur Ausrüstung vieler Kameradschaften. Daher ist der im September 2003 vereitelte Sprengstoffanschlag der „Kameradschaft Süd“ auf die Baustelle der Münchner Synagogenach Erkenntnissen der AutorInnen kein Ausrutscher: Terror gehört zum Konzept. Heimlich werden hierfür Immobilien erworben und als Schulungszentren hergerichtet. Die Behörden stellen sich oft dumm, wenn Neonazis als Käufer auftreten. Dass es auch anders geht, zeigte sich im Februar 2003 in Freiburg zwischen Stade und Cuxhaven. Nach Bürgerprotesten versagte die Verwaltung die Lizenz für eine Kneipe, die als rechte Anlaufstelle vorgesehen war. Uwe Ruprecht
Andrea Röpke/Andreas Speit (Hrsg.): „Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis“ Ch. Links Verlag, 206 S., 14,90 Euro