Richter schelten

Hamburgischer Richterverein wirft Senator Kusch „weit überzogene Kritik“ an Staatsanwaltschaft vor: Ankläger fühlen sich diffamiert. In der nachmittäglichen Bürgerschaftsdebatte über die Justizpolitik fordern SPD und GAL Kuschs Rücktritt

von kai von appen
und sven-michael veit

Aufschrei am Sievekingplatz: Als Verunglimpfung und Nötigung hat der Hamburgische Richterverein in ungewöhnlich scharfer Form die pauschale Kritik von Justizsenator Roger Kusch (CDU) an der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. „Die Art und Weise Ihrer Kritik ist weit überzogen“, heißt es in einem offenen Brief des Vereins, der auch die Staatsanwälte vertritt. „Sie hat dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft und Justiz insgesamt in der Presse diffamiert und grundlos herabgewürdigt werden.“

Nach der Vergewaltigung eines kleinen Mädchens durch einen Ex-Strafgefangenen, dessen Haftbefehl wegen einer Therapie ausgesetzt worden war, sowie nach einer Messerstecherei in einem Kino, in deren Folge gegen die vier Verdächtigen keine Haftbefehle beantragt worden waren, hatte Kusch zum Rundumschlag ausgeholt. Der Senator kündigte an, „Mitarbeiter in die Mangel zu nehmen“ und dafür zu sorgen, „Recht nicht im luftleeren Raum auszulegen“. Zugleich setzte er für den erkrankten Leitenden Oberstaatsanwalt Martin Köhnke einen kommissarischen Behördenleiter ein und erweckte so den Eindruck der Amtsenthebung.

„Wir sind keine weinerlichen Beamten, aber die Form ist unwürdig“, so Staatsanwalt Michael Elsner vom Richterverein. „Die Motivation leidet, wenn so mit Behördenmitarbeitern umgegangen wird“, ergänzt die Vorsitzende Inga Schmidt-Syaßen.

Für Landrichter Gerhard Schaberg ist das Vorgehen untragbar: „Das ist ein Versuch, die Staatsanwaltschaft unter Druck zu setzen, wider besseren Wissens rechtswidrig Haftbefehle zu beantragen.“ Auch die Einsetzung des kommissarischen Behördenleiters ohne Kenntnis von Köhnkes Stellvertreter Johann Meyer ist laut Elsner „einmalig“ und habe zu „Irritationen“ geführt. „Das ist was, was man vorher nur von Bundesliga-Vereinen kannte, aber nicht bei Behörden“, legt Schaberg nach. „Beamtenrechtlich ist ein kommissarischer Behördenleiter gar nicht vorgesehen – den gibt‘s nicht.“

Die JuristInnen hoffen nun auf „Besserung“, zumal im Fall der sexualisierten Gewalt ein Prüfbericht der Generalstaatsanwaltschaft den beteiligten Anklägern „keine dienstrechtlichen oder juristischen Verfehlungen“ attestierte, so Schaberg: „Senator Kusch hat den Prüfbericht akzeptiert.“

Die Kritik der Richterschaft an Senator Kusch verlieh am Nachmittag der von SPD und GAL ohnehin angemeldeten Debatte über Hamburgs Justizpolitik zusätzliche Würze. „Noch nie“ habe ein Senator Justiz und Richterschaft „so gegen sich aufgebracht“ wie Kusch, konstatierte Rolf-Dieter Klooß (SPD). Es sei ein einmaliger Vorgang, dass Kusch die Staatsanwaltschaft „in Bausch und Bogen vorverurteilt und desavouiert“ habe. Mit der Degradierung des Oberstaatsanwaltes Köhnke habe Kusch „ein Bauernopfer gebracht, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen“.

Ein „Sicherheitsrisiko“ gar ist Kusch für den GALier Till Steffen. „Aktionismus im Strafvollzug“ paare sich mit „Führungsversagen“, gekrönt von der „Suche nach Sündenböcken“. Das füge sich nahtlos in eine Politik, erinnerte Steffen, die voriges Jahr zur Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) „Schwarzer Filz“ in der Justizbehörde führte.

„Mangelnde Loyalität und mangelndes Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinen Mitarbeitern“ ziehe sich wie ein roter Faden durch die Personalpolitik des Senators, konstatierte auch Klooß, seinerzeit Vorsitzender des PUA, dessen Arbeit wegen der Neuwahl vorzeitig beendet worden war. Kusch müsse, so die übereinstimmende Ansicht der Opposition, „den Hut nehmen“ oder vom Bürgermeister entlassen werden. Ungewöhnlich defensiv verteidigte sich der Gescholtene selbst, der sonst auch durch schneidige Reden aufzufallen weiß. Es habe bei der Nicht-Inhaftierung des mutmaßlichen Vergewaltigers von Lurup „ein Versagen“ gegeben – in einer Behörde, „die zu 98 Prozent hervorragende Arbeit leistet“. Deshalb habe er, so Kusch, „das Äußerste tun müssen, um das Vertrauen der Mütter und Väter in die Justiz wiederherzustellen“. Der CDU-Fraktion fiel da nicht viel ein, um den eigenen Senator zu schützen. Eine „Hetzkampagne der Opposition“ wähnte Viviane Spethmann, und Fraktionskollege Heinrich Langhein erinnerte daran, dass doch die SPD Hamburg „zur Hauptstadt des Verbrechens gemacht“ habe. Da mochte selbst die eigene Fraktion nicht klatschen.